LARIFARI
Die Zeit
Ohne unser Zutun und ohne, dass wir es aufhalten können, vergeht sie, die Zeit. Unaufhörlich
und gnadenlos. Je älter man wird, umso schneller kommt einem dieses Phänomen vor. Wie oft
habe ich darüber nachgedacht? Wie oft denke ich an Ereignisse oder Situationen, die gefühlt nur
Tage oder wenige Wochen her sein können, aber tatsächlich vor Jahren geschahen. Wie oft frage
ich mich an Geburtstagen, in welchem Eiltempo das letzte Jahr wieder vergangen ist? Dabei
kann ich mich noch gut erinnern, wie ich mir als Kind wünschte, dass die Zeit zügiger vergehen
würde. Um endlich zur Schule zu gehen, um abends länger wach zu bleiben. Um bestimmte
Filme sehen zu dürfen. Es konnte nicht schnell genug gehen.
Besonders fällt es mir auf, wenn ich feststelle, wie selbständig meine Kinder geworden sind.
Noch immer begleiten mich Gedanken an einen Alltag mit meinem Nachwuchs, in dem man
ständig wachsam war und man jeden ihrer Schritte begleitete. Die ersten Jahre immer im Blick,
dass sie nichts Gefährliches anfassten, nichts Wichtiges beschädigten. Oder die Tage, an denen
man stundenlang hinterher sein musste und am Abend weit müder ins Bett fiel, als das Kind selbst. Aber auch andere Situationen erinnern daran, wie einem die
Zeit davonläuft. Die Abende, an denen ich in meinem kleinen Tonstudio sitze zum Beispiel. Ich arbeite an einem Projekt, schaue auf die Uhr und denke: Mist,
schon wieder 2.00Uhr nachts, so langsam sollte ich Feierabend machen. Aber irgendwie hatte ich doch gerade erst begonnen.... Normalerweise sprechen die
Forscher von einer gefühlt schnelleren Zeitwahrnehmung, wenn sich ein gewisser Alltagstrott eingebürgert hat. Ich also gewisse Dinge tue, die wenig
Abwechslung mit sich bringen. Von einem Tagesablauf, der sich immer wiederholt. Nur, so recht kann ich das nicht bestätigen. Mein Leben ist mehr als
abwechslungsreich. Aber auch das Alter spielt bei dieser gefühlten Zeitwahrnehmung eine Rolle. Bis zu seinem 30. Lebensjahr hat man nach wissenschaftlicher
Erkenntnis ein anderes Empfinden dafür. In diesen ersten Jahren, erleben wir viel Neues. Erwachsen werden, mit Emotionen zurecht kommen, die vielleicht
erste Liebe, die erste Wohnung, der erste Job, der erste eigene Urlaub. Alles Situationen, in denen es für uns nicht schnell genug gehen konnte. Im Alter dann
bewerten wir diese Zeit rückblickend völlig anders. Vieles Neue kommt nicht mehr hinzu. Vielleicht hat das ja etwas mit diesem sogenannten Alltagstrott zu tun.
Beim 20. eigenen Urlaub wissen wir meist, was auf uns zukommt.
Die Zeit kann etwas ganz wunderbares sein, wenn wir sie uns nehmen. Für Dinge, die uns Spaß machen, für die Familie, für das Nichtstun und für das
Ausspannen. Sie kann aber ebenso grausam und nutzlos sein, wenn es uns nicht gut geht, wir auf unangenehme Nachrichten warten, wir vor einer Prüfung
stehen, oder jemanden verloren haben. Und immer denken wir uns dabei, warum die schönen Zeiten so kurz und die unangenehmen so unerträglich lang
ausfallen.
Wie faszinierend wir Menschen das Thema Zeit finden und wie intensiv wir uns damit beschäftigen, zeigen unzählige Filme und Bücher. Dabei werden der
Fantasie und selbst der Wissenschaft kaum Grenzen gesetzt. Ob es klassische Zeitreisen sind, wie in Time Machine, Terminator, Zurück in die Zukunft, Star Trek
oder Dr. Who, oder Zeitschleifen, wie in Täglich grüßt das Murmeltier oder 12:01Uhr, ist dabei völlig egal. Wir träumen, davon wie es wohl wäre, ständen uns
diese Möglichkeiten zur Verfügung. Wie sähe es aus, wenn wir einfach nur die Zeit anhalten könnten? Wenn wir Momente nie enden lassen könnten? Was
würden wir mit solch einer Gelegenheit nicht alles anstellen? Diese Ideen, dieser Traum verfolgt uns. Wenn wir es genau nehmen, haben wir bereits Arten von
Zeitmaschinen erschaffen. Wenn auch nicht so genau, wie es in den Filmen oder Büchern dargestellt wird. Die Kunst und die fortschreitende Technik hat uns
diese Möglichkeit eröffnet. Zuerst mit der Malerei. Wobei sich die erschaffenden Künstler nicht immer eins zu eins an die Vorlage ihrer Porträts oder ihrer
Landschaften hielten. Später dann in Form von Fotos, Film- und Tondokumenten. So wissen wir heute, wie bedeutende Persönlichkeiten der Historie, wie
Künstler, Herrscher oder Wissenschaftler vor hunderten Jahren ausgesehen haben, wie Albert Einstein, Thomas Edison oder Marie Curie sprach, oder wie
Marilyn Monroe, oder Judy Garland sich in ihren jungen Jahren bewegten und agierten. Wir schauen zurück in die Vergangenheit. Wir sehen Momente, die sich
vor Jahrzehnten oder Jahrhunderten zugetragen haben. Wir hören Musikaufnahmen, die entstanden, als wir nicht einmal geboren waren. Wie oft schauen wir
uns eigene Fotos, Schmalfilmdokumente, oder Videos an und können uns an diese Ereignisse erinnern? Ich finde es immer schön und beruhigend, längst
verstorbenen Familienmitgliedern oder Bekannten nochmal ins Gesicht schauen zu dürfen, oder sie zu hören. Mich an sie zu erinnern. Manchmal finde ich es
auch recht unterhaltsam, mir selbst dabei zuzuschauen, mit welchen unmöglichen Kleidungsstücken, Frisuren oder Posen ich einstmals abgelichtet wurde. Es ist
seltsam, das eigene Ich als Kind, oder Jugendlicher zu sehen und zu wissen, wie naiv, unerfahren und idealistisch man war. Nicht, dass ich heute kein Idealist
oder Optimist mehr wäre, sonst hätte ich wahrscheinlich meine Musik längst an den Nagel gehängt, nein, es ist eine gewisse Portion Realismus dazu
gekommen, der die Euphorie, die man einstmals entwickelte, ein wenig ausbremst.
Denkt man intensiver über Zeitreisen wie aus der Science Fiction nach, dann klingt es schon irgendwie verlockend, so etwas selbst zu erleben. Was, wenn man
sich selbst Nachrichten in die Vergangenheit senden könnte. Mit welchen Vorraussagen würde mein früheres Ich überhaupt umgehen können? Würde ich all
dies wirklich wissen wollen? Dass es wahrscheinlich eher nicht die Prophezeiungen wären, wie die Lottozahlen, Zahlenabfolgen am Roulettetisch oder
Sportwettenergebnisse, wie sie Biff Tannen in Zurück in die Zukunft erhielt, ergibt sich fast von selbst. Denn diese Schummelei, die Zeitreise wäre für mich
wahrscheinlich kein exclusives Recht wie für Marty McFly oder Biff und würde ebenso anderen zur Verfügung stehen. Das hieße, so etwas wie Wetten auf die
Zukunft beziehungsweise auf Voraussagen gäbe es dann natürlich nicht mehr. Etwas anderes wäre es, wenn man sich auf Ereignisse konzentrieren könnte. Wie
sähen die eignenen Ergebnisse, die Erfolge, oder Mißerfolge von Ideen, oder Projekten aus, die man verfolgte? Würde mein früheres Ich dann tatsächlich etwas
anders machen? Zweifel wären angebracht. Verzichtete man tatsächlich auf Vorhaben, die letztendlich scheiterten, stände immer die Frage im Raum, ob nicht
gerade diese die Grundlage für andere Erfolge darstellen. Oder es sind Projekte, die heute erfolglos blieben und morgen plötzlich ein Triumph sind? Um das zu
wissen, müsste ich wiederum in die Zukunft schauen können. Auch von schlechten Nachrichten würde man eher Abstand nehmen, sie weiter zu reichen.
Todestage, Unfälle, Krankheiten, ich glaube von all dem würde ich nichts wissen wollen. Wie man es dreht und wendet, die Fragestellungen und das Ungewisse
würden immer an einem nagen.
Wie oft haben wir alle den Satz gesagt: "Wie gern würde ich jetzt die Zeit zurückdrehen". Das wäre die wahrscheinlichste Form, die ich mir vorstellen kann. Zum
Beispiel würde ich gern mit einigen bereits verstorbenden Personen meines privaten Umfelds ein letztes Gespräch führen wollen. Ihnen noch einmal sagen, was
sie mir bedeuteten. Oder Abschied nehmen, von denen, wo ich keine Chance dazu hatte. Ich bin glücklich darüber, dass ich nie in die verzweifelte Lage geriet,
etwas gesagt, oder getan zu haben, was ich später bereute und es nicht mehr richten konnte. Oder nicht Entschuldigung gesagt zu haben, weil man zu stolz war,
es auszusprechen und es am Ende zu spät dafür war. Andere können dieses Glück nicht mit mir teilen und werfen sich dieses Versäumnis ein Leben lang vor.
Ich kenne Menschen, die für eine Gelegenheit zu diesem Zeitpunkt zurückzuspringen und die Situation zu richten, alles geben würden. Was mir widerum nicht
einfallen würde, wäre Fehler meines Lebens korrigieren zu wollen. Klar, habe ich Fehler gemacht. Aber gerade die sind es ja, die meinen Charakter und mein
Dasein mitgeformt haben. Neben meinen Interessen und Fähigkeiten. Die mir neue Lebenswege geebnet haben, die ich sonst vielleicht nie eingeschlagen hätte.
Und nicht zu vergessen, aus den meisten Fehlern lernte man Prioritäten zu setzen, diese kein zweites Mal zu machen und sich vorzubereiten, es das nächste Mal
besser anzustellen. ... Und am Ende steht auch hier die Fragestellung, ob es zu diesem Zeitpunkt an den man sich wünscht, es tatsächlich erkennbare Fehler
waren, so wie ich sie heute bewerte?
Was könnte man in unserer Fantasie noch anstellen, wenn man an Zeitmanipulationen denkt? Vielleicht nur Beobachter sein. Einzelne Momente der eigenen
Vergangenheit nochmals sehen oder miterleben. Die glücklichen, die stolzen, die die uns Angst machten, oder Augenblicke, an denen wir viel Spaß hatten. Aber
vielleicht ist auch das keine besonders gute Idee. Denn hier muss ich an den Vergleich denken, wenn ich alte Platten höre, oder mir alte Filme anschaue. Oft
wurde ich hier enttäuscht, weil die Musik auf diesen Platten manchmal nicht mehr die Emotionen berührten, die ich damals empfand, oder ich mich gar fragte,
was ich überhaupt daran toll fand. Oder Filme letztendlich gar nicht mehr so lustig, gruselig oder unterhaltsam waren, wie man sie in seinem Gedächtnis hatte.
Der Mensch verklärt gern seine Erinnerungen. Oder dichtet etwas hinzu, dass mit der Realität kaum mehr etwas zu tun hatte. Und er blendet aus, was ihm nicht
gefiel. Oder vergisst es schlichtweg. Gerade bei älteren Menschen stellt man dieses Phänomen oftmals fest. Vieles unangenehme wird verdrängt und es bleiben
eher die glücklichen und schönen Gedanken übrig, die man zum Besten gibt. Dann sprechen sie schonmal gern von der guten alten Zeit. Vielleicht wären wir
auch enttäuscht, wenn wir feststellen, dass unsere Erinnerungen an gewisse Lebenssituationen gar nicht mehr so glamourös, triumphal oder so glücklich
waren, wie wir sie in unserer Gedankenwelt herumtragen. Noch schlimmer, was wäre, wenn unsere Vorstellung mit der Realität tatsächlich nichts zu tun hätte
und ein Ablauf bestimmter Ereignisse völlig anders war? Ich weiß nicht, wie ich damit umginge. Wirklich viele Gedanken, ob dies Realität werden kann, muss
man im Grunde nicht verschwenden. Schon allein, weil wir nie Nachrichten aus der Zukunft bekamen.
Interessant finde ich, dass sich selbst renommierte Wissenschaftler, wie der Astrophysiker Professor Stephen Hawking über Zeitreisen Gedanken machten.
Tatsächlich führte er sogar ein Experiment dazu durch: Er veranstaltete eine Party für Zeitreisende und wartete an jenem Tag vergeblich auf seine Gäste. Erst
nach diesem Event verschickte er seine Einladungen. Trotz seines Rückschlags, schloss er bis zu seinem Tode nicht aus, dass Zeitreisen möglich sind.
Nicht nur Professor Hawking richtete seine Aufmerksamkeit auf das Thema Zeit, sondern auch viele andere namhafte Wissenschaftler. Ich habe einiges dazu
gelesen, muss aber gestehen, dass ich nicht alles verstand. Auch, wenn ich Physik recht spannend finde. Ein beschriebenes Phänomen basiert auf der
Relativitätstheorie. Je schneller wir uns mit einem Raumschiff im All bewegen, umso langsamer vergeht für uns die Zeit. Aber nur relativ gesehen zur Erdzeit. Wir
selbst würden es als Passagier eines solchen Fluges gar nicht merken. Für uns würdem die Stunden und Tage auf dieser Reise weiter ablaufen, wie bisher. Selbst
mit unseren heutigen und zugegebener Maßen langsamen Raumfahrzeugen, konnte dieses Phänomen bewiesen werden. Auch, wenn es sich am Ende nur um
einen winzigen Teil einer Sekunde handelte, der abwich. Aber stellen wir uns vor, die Technik entwickelt sich weiter und wir erreichen irgendwann tatsächlich ein
Drittel, die Hälfte oder einen größeren Prozentsatz der Lichtgeschwidigkeit. Und wir reisen durchs All. Je nachdem wie schnell und wie weit wir fliegen und
kehren dann in einem oder in fünf Jahren zur Erde zurück, kann es sein, dass dort bereits mehrere Jahre, Jahrzehnte, oder Jahrhunderte vergangen sind. Die Zeit
ist laut Albert Einstein keine Konstante. Im Gegensatz zur Lichtgeschwindigkeit. Aber seien wir ehrlich: Würden wir uns tatsächlich in solch ein Gefährt setzen
und diese Reise antreten? Abgesehen von all den Ungewissheiten und Risiken, die solch ein Unternehmen mit sich bringt, hätte ich wahrscheinlich kein großes
Interesse daran. Dass es faszinierend und interessant wäre, auf diesem Wege durch die Zeit zu reisen um dann eine Erde zu betreten, die Jahrhunderte hinter
sich gelassen hätte, ist unbestritten. Den Fortschritt der Wissenschaft, der Medizin oder der Technik zu sehen, ist sicher spannend. Für die Menschen, die dann
dort leben, aber Alltag. Nur allein für uns wäre es aufregend und fremd. Zudem würde es bei unserer Rückkehr wenig Vertrautes geben. Keine Gesichter mehr,
die wir kennen, keine eigene Familie, die sich für unser Schicksal interessiert. Wir selbst wären wahrscheinlich die Attraktion, die herumgereicht wird. "Seht her,
die Menschen aus der Vergangenheit sind wieder zurück! Wie war es denn so?"
Die Zeit beschäftigt uns in vielen Bereichen unseres Lebens. Dabei immer im Hinterkopf, dass sie uns Grenzen setzt. Nicht nur in der Terminvereinbarung, oder
in unserem Arbeitsleben, sondern grundsätzlich. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt derzeit in Deutschland für Männer bei knapp 79 Jahren und für
Frauen bei knapp 84 Jahren. Wirklich auskosten können wir dieses Dasein nur zu zwei Dritteln, da wir den Rest einfach verschlafen. Schon allein aus diesem
Grund, finde ich es traurig, wenn Menschen ihre Zeit und ihr kurzes Leben verschwenden. Sicher, nicht jeder hat Ambitionen, der Nachwelt etwas hinterlassen
zu wollen, wie Kunstwerke, Bücher, Texte, Podcasts, oder schöne Melodien. Manchmal sind es auch die kleinen Dinge, wie die Erziehung der Kinder, das
Weiterreichen von Erfahrungen und Familiengeschichten, oder das Schaffen schöner Momente für andere. Diese Dinge haben auch in meinem Leben Priorität.
Oder Vorbild sein, karitativ arbeiten, grundsätzlich für andere da sein. Stattdessen vergeuden sie ihre Zeit mit dem Fernsehen, dem Internet, mit
Verschwörungen oder dem Nichtstun und setzen sich keinerlei Ziele mehr. Das ist schade. Ich habe einige solcher Menschen kennengelernt, deren Leben
hauptsächlich aus Inaktivität und dem daraus folgendem Selbstmitleid besteht. Um sich zu rechtfertigen, suchen sie oft die Schuld bei anderen. Nie bei sich.
Fragte ich nach ihren Vorstellungen, wie ihr Leben aussehen sollte, bekam ich verschiedene Antworten. Die meisten drehten sich um materielle Dinge, die man
sich wünschte. Eine konkrete Antwort war, sein Ziel im Leben wäre viel Geld, ohne etwas dafür zu tun. Das ist für mich bedauernswert. Was ist das für ein
Leben? Selbst, wenn ich nicht meinem Gelderwerb, meiner Arbeit nachgehen müsste, wüsste ich recht genau, was ich mit meiner Zeit anstellen würde, um sie
sinnvoll zu nutzen.
Eine der blödsinnigsten Sätze, die ich über das Thema Zeit je hörte war: Zeit ist Geld. In unserer sehr stark vom Materialismus geprägten Gesellschaft mag
sicher etwas dran sein. Ich benötige Zeit zum Arbeiten, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Aber einigen reicht das nicht. Es ist ihnen nicht genug. Sie
wollen Vermögen, dicke Autos, Häuser und durchaus verschwenderische Aktivitäten veranstalten. Eine entfernte Verwandte von mir, sah Reisen im Inland, oder
in Europa nicht einmal mehr als Urlaub an, sondern nur als reine Freizeitgestaltung. Eine Woche New York war nicht mehr, als ein Shoppingausflug. Die in ihren
Augen echten Urlaubsreisen mussten teuer und weit entfernt sein. Meine Betrachtungsweise konnten sie gar erst nicht nachvollziehen. Ich habe die Zeit selbst
immer als wertvoller betrachtet, als alles andere. Wenn ich mir nicht alles leisten konnte, was ich wollte, war das zweitrangig. Zeit kann mir niemand schenken.
Jeder Augenblick mehr mit meinen Kindern, meinen Liebsten, oder meinen Hobbies kann mir keiner bezahlen. Auch nicht die Freizeit, die ich mir für andere
Dinge nehmen kann, die mir Spaß machen. Man muss abwägen, was einem wichtig ist. Und Geld schützt auch vor Krankheit und einem frühen Tod nicht.
"Die Zeiten ändern sich". Das ist ebenfalls ein Satz, den man öfter hört. Klar, da ist etwas dran und so sollte es auch sein. Wobei es nicht unbedingt die Zeiten an
sich sind, die sich ändern, sondern eher wir, die Gesellschaft, der Fortschritt in der Wissenschaft und der Technik und unsere eigene Entwicklung und
Denkweise. Ob dies immer vorteilhaft ist, das sei dahin gestellt. Aber wer würde seine Kinder heutzutage unangeschnallt im Auto sitzen lassen, wie es noch in
den Siebzigern üblich war. Wer würde heute sein Kind im Alter von fünf oder sechs Jahren mit dem Einkaufszettel zum Bäcker einige Straßen weiter schicken,
wie es meine Mutter tat. Wer würde seine Teenies mit 14 oder 15 allein zur Disko gehen lassen, oder sie für ein zwei Wochen an einem entfernten See mit
gleichaltrigen Freunden zelten lassen? Ich durfte das tun. Dabei hatten wir weder Handys, geschweige denn ein Telefon zu Hause, wo man schnell Bescheid
geben konnte, dass alles in Ordnung sei. Wahrscheinlich waren wir eine der wenigen Generationen, die solche Freiheiten besaßen. Denn letztendlich haben sich
Gesetze, unsere Einstellung und unsere Vorsichtsmaßnahmen gegenüber unseren Kindern aus gutem Grund verändert. Ich fand es immer interessant, wenn ich
hörte, wie vorherige Generationen aufwuchsen. In dieser von ihnen genannten guten alten Zeit. Wir konnten froh sein, nicht mehr wie unsere Großeltern mit 14
in die Arbeitswelt entlassen zu werden und in diesem Alter 12- bis 14-Stunden Tage abzuleisten. Wir konnten froh sein, dass wir vieles taten, was unseren Eltern
verwehrt wurde. Dass unser eigener Freiraum damals nicht selbstverständlich war, war uns zu diesem Zeitpunkt gar nicht bewußt. Erst heute, als Vater und
rückblickend, kann ich nachvollziehen, wieviel Vertrauen unsere Eltern in uns hatten. Wie ungezwungen und mit weit weniger Regelungen wir aufwuchsen. Dass
sie uns Dinge ermöglichten und große Freiheiten ließen, dafür werde ich auf ewig dankbar sein.
Der Favorit unter den Sätzen, die wir am häufigsten in diesem Zusammenhang gebrauchen, ist wahrscheinlich: "Ich habe keine Zeit". Wenn man genauer
darüber denkt, ist dieser Satz irreführend und falsch. Denn uns allen steht die gleiche Zeit zur Verfügung. 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche und 365 Tage im
Jahr. Wie wir sie organisieren, das liegt an uns. Dass wir einen gewissen Teil benötigen, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen, das steht ausser Frage. Alles
andere ist eine Frage der Organisation und unserer Prioritäten. Falls wir Zeit für etwas Wichtiges brauchen, dann sollten wir sie uns einfach nehmen. Egal,
welche Ausreden uns dazu einfallen, es nicht zu tun.
Als ich begann, diesen Text zu schreiben, war ich mir nicht sicher, ob mir genügend Ideen in den Sinn kommen. Nun merke ich, es sind schon wieder zu viele
Stichpunkte und Anregungen, die noch übrig sind. Die Innere Uhr zum Beispiel, das natürliche Zeitgefühl mit seinen Nachteulen und Frühaufstehern, oder auch
Loriots "Szenen einer Ehe" mit dem Viereinhalb-Minuten-Ei. Aber vielleicht werde ich diese Punkte irgendwann nochmal an anderer Stelle aufgreifen. Dass mir
soviele Argumente einfielen, die gegen Zeitreisen sprechen, hat mich selbst verwundert. Eigentlich braucht es keine Science Fiction, um in die Vergangenheit zu
reisen. Dazu reichen unsere Erinnerungen, unsere Fotos, oder Familienvideos. Selbst wenn wir die Sterne beobachten, schauen wir zurück. Zwischen unserer
Beobachtung und dem eigentlichen Geschehen liegen oft hunderttausende, oder gar Millionen Jahre. Selbst bei näheren Objekten kann dies eine lange Zeit
sein. Bei Proxima Centauri zum Beispiel, dem nächstgelegenen Nachbarstern unserer Sonne sehen wir Ereignisse, die bereits vor 4,2 Jahren statt gefunden
haben. Schauen wir zu unserer Sonne, sind es immerhin noch 8 Minuten und 20 Sekunden, zum Mars 3 Minuten und zu unserem Mond 1,3 Sekunden. Das
Thema Zeit ist so komplex, dass man wahrscheinlich auch ohne Wissenschaftler zu sein, Bücher füllen könnte. Und um all meine Fragen zu beantworten, die ich
mir im Laufe des Schreibens stellte, bräuchte ich wahrscheinlich Monate, um zu recherchieren. Ich werde dennoch das Thema beenden und wünsche euch allen
eine schöne Zeit.