LARIFARI
Bargeld ist sowas von letztes Jahrtausend
Foto © picture-alliance / dpa / Daniel Reinhardt
Im Wirtschaftsteil der Welt, hüstel Springerpresse, habe ich einen Artikel über einen Berliner
Coffee Shop gelesen, der in seinem Laden das Bargeld verbannt hat. Man kann dort
ausschließlich nur mit Karten bezahlen. Was ich daran so interessant fand, war nicht die
Nachricht an sich, denn diese ging schon Tage vorher durch die Presse, sondern die Reaktionen
und Kommentare dazu. Sehr unterhaltsam und wieder ein gutes Beispiel, wie sehr sich der
Deutsche am Bargeld festklammert. Ich komme auf diese Diskussion aber nochmal zurück.
Ich selbst habe sehr selten, meist nie Bargeld in der Tasche. Das ist seit mehr als 25 Jahren so.
Vor allen Dingen verzichte ich darauf aus Sicherheitsgründen. Durch meine Arbeit in der Bank habe ich es in den letzten dreizig Jahren fast täglich mit
Diebstählen und Verlusten von Geldbörsen zu tun. Meine Karten kann ich sperren lassen. Ausweise können neu besorgt werden. Das Bargeld sieht kaum einer
wieder. Ich verzichte auf Einkäufe, wenn ich bemerke, dass der Händler keine Karten annimmt. Das kann er natürlich frei entscheiden. Das ist sein Recht. Aber
dadurch lässt er sich ein Geschäft entgehen. Zumindest mit mir. Und ich bin sicherlich nicht der einzige, der so denkt und handelt.
Warum der Deutsche so sehr an seinem Bargeld hängt, ist mir ein Rätsel. Ich verstehe es nicht. Bereits in den 80ern war es eher unüblich seinen Lohn bar
ausgezahlt zu bekommen. Und der Einkauf mit Karte und damaligem Eurocheque, wie auch in der DDR die Zahlung mit normalem Scheck, war bereits zu dieser
Zeit gängig. Nun muss man zwar auch betonen, dass die Kartenzahlung in diesem Jahr erstmals die Bargeldzahlung überholt hat, aber noch immer werden fast
50 Prozent aller Umsätze im Handel bar getätigt. Völlig unverständlich. Manche von den Käufern sprechen von ihrer Freiheit, die sie sich nicht nehmen lassen.
Andere pochen auf ihr Recht, dass angeblich eine Annahmepflicht für Bargeld bei den Händlern oder Dienstleistern besteht, was zwar nicht ganz korrekt ist,
aber auch dazu später mehr.
Schauen wir uns den Händler, das Restaurant, oder den Dienstleister an, der hier seine Waren, Dienste oder seine Lebens- und Genußmittel anbietet. Für
diesen ergeben sich zunächst nur Nachteile, sollte er sich entschließen Bargeld tatsächlich annehmen zu wollen. Als erstes muss er dafür sorgen, dass das Geld
geschützt wird. Eine entsprechende Kasse und wahrscheinlich auch zusätzliche Verwahrmöglichkeiten, wie Tresore müssen angeschafft werden. Dann muss er
dafür sorgen, dass täglich genügend Wechselgeld zur Verfügung steht. Für den Aufwand, Bargeld zu verwalten, muss er Arbeitskapazitäten zur Verfügung
stellen. Ein Bar-Kassenbuch ist zu führen und täglich muss der Bestand gezählt und geprüft werden. Hier erinnere ich mich ungern an Zeiten, in denen in jeder
Bankfiliale meines Arbeitgebers eine Kasse geführt wurde. Stimmte diese am Abend nicht, wurde akribisch jeder Beleg umgedreht, jede Buchung durchforstet
und das Geld doppelt und dreifach gezählt. Fehlte selbst ein Pfennig, waren Überstunden angesagt. Das wurde in späteren Jahren glücklicherweise ein wenig
gelockert. Aber es war zeitraubend und furchtbar nervend.
Aber weiter im Text: Für den Transport muss gesorgt werden. Das heißt, sollten sich die Bargeldeinnahmen in bestimmten Dimensionen bewegen, wird er kaum
selbst zur Bank gehen, sondern ein entsprechendes Geldtransportunternehmen beauftragen. Gegen Diebstahl muss er sich versichern, was ein nicht zu
unterschätzender Posten ist. Hinzu kommen dann noch Kosten, die nur zum Teil planbar sind. Bankgebühren für Einzahlungen zum Beispiel. Oder, wenn sich
die Servicekraft am Tresen oder an der Kasse, beim Wechselgeld vertan hat. Auf rund 6,7 Milliarden Euro im Jahr summieren sich all diese Verluste für den
Handel allein durch die Annahme von Bargeld. Ein ganz ordentliches Sümmchen, wie ich finde, nur weil einige Kunden ihre angebliche Freiheit behalten wollen.
Ich würde als Händler gern darauf verzichten wollen. In diesem Falle spare ich Geld, Nerven und kostbare Zeit.
Bis vor 10 Jahren zirka, mied ich Einkäufe beim Discounter. Aldi, Lidl & Co haben tatsächlich erst im Jahre 2009 ihre letzten Filialen mit einem Kartenlesegerät
ausgestattet. Für mich ein Grund damals, hier nicht einzukaufen. Denn letztendlich hätte ich einen Aufwand betreiben müssen, der zeitraubend war und den ich
nicht wollte. Ich hätte jeweils in etwa wissen müssen, was ich kaufe, wieviel es kostet und extra zur Bank fahren müssen, um mich mit Bargeld auszustatten.
Zudem würde mir am Ende die Kontrolle fehlen. Habe ich einmal Bargeld, gebe ich es aus. Ich wüsste später aber nicht mehr, wo es geblieben ist. Schon gar
nicht, wenn diese Ausgaben eine längere Zeit her sind. Ein Ausgabenbuch zu schreiben ist aufwändig und lästig. Ich möchte einfach in einen Laden oder in ein
Geschäft gehen, das kaufen, was mir gefällt und meine Karte vorlegen. Das ist Freiheit. Laut Kontoauszug kann ich dann auch jederzeit sehen, wo ich wann
etwas gekauft habe.
Ich meine, seien wir doch mal ehrlich. Kennen wir nicht alle die Situation im Supermarkt anzustehen und vorn an der Kasse steht wieder einmal der
Bargeldliebhaber und kramt in seiner Geldbörse ewig herum, bis er das passende Kleingeld bis zum letzten Cent gefunden hat? Das nervt nicht nur, sondern
hält den gesamten Betrieb einfach nur auf.
Schauen wir in andere Länder, sieht es schon ganz anders aus. Nicht nur, dass es selbstverständlich ist, selbst jeden Kleinkram mit Karte zu bezahlen, sondern
auch, dass die Akzeptanz weit höher ist, als bei uns. Ich spreche hier noch nicht mal von den USA, dem Kreditkartenland überhaupt, sondern von vielen
europäischen Ländern. Noch immer sträuben sich genügend Händler hierzulande, eine Kartenzahlung anzubieten. Dann höre ich die alten und eigentlich nicht
mehr geltenden Ausreden, das wäre zu teuer für ihn. Gerade in den letzten Jahren sind allein durch die Regelungen der EU die Preise der Transaktionskosten so
stark gesunken, dass seine Bargeldverwaltung am Ende weit teurer sein wird. Die Norweger oder Schweden sind uns, was den Zahlungsverkehr angeht,
wahrscheinlich 10 bis 15 Jahre voraus. Bei ihnen muss man mittlerweile nach Geschäften suchen, die überhaupt noch Bargeld annehmen. Mehr als 80 Prozent
der Schweden zahlen grundsätzlich bargeldlos. Und das gilt für sie nicht nur im Handel. Die Verbreitung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs greift bei ihnen
sogar ins alltägliche Leben ein, so dass selbst die Kollekte in der Kirche, der Euro für den Bettler, oder die privaten Schulden der Freunde und Bekannten
grundsätzlich bargeldfrei abgewickelt wird.
Schaut man sich in unserem Lande weiter um, dann stellt man schnell fest, dass es viele Dinge heutzutage gibt, die man in bar schon lange nicht mehr bezahlen
kann. Nehmen wir die monatlichen Kosten, wie Miete, oder Versicherungen. Überweisungen, Daueraufträge, oder Einzüge sind dafür seit Jahrzehnten Standard.
Oder versuchen sie doch mal, ihre GEZ oder ihre Steuern bei den jeweiligen Verwaltungsstellen in bar zu begleichen. Das ist schlichtweg unmöglich. Einige
Rebellen haben sich gegen diese Praxis gewehrt und den juristischen Weg eingeschlagen. Mit wenig Erfolg. Na klar geht das, werden jetzt einige behaupten. Ich
gehe zur Bank und zahle es dort ein. Aber tun sie das mal tatsächlich. Angefangen bei dem Problem, dass die meisten Bankfilialen gar keine Kassen mehr
führen, hin zu den hohen Einzahlungskosten, die sie bei der Bank dafür aufopfern müssen. Da das Kreditinstitut in den meisten Fällen gar keinen Direktzugriff
auf die öffentlichen Kassen besitzt, werden die Zahlungen zunächst einem Sammelkonto gutgeschrieben. Das verzögert die Zahlung selbst und wird am Ende
unbar, als Überweisung weitergeleitet. Keiner hätte hier also einen Vorteil davon.
Kommen wir zum ursprünglichen Auslöser dieses Textes. Bei den Kommentatoren dieses Artikels hat sich ein relativ eindeutiges Bild abgezeichnet, welches man
nochmals unterteilen muss. Die wenigsten von ihnen finden diesen Vorstoß des Coffe Shops gut und können sich damit anfreunden. Positive Stimmen gibt es,
sie sind aber eher in der Unterzahl. Weit höher ist Anzahl der Schwurbler, Aluhutträger und Verschwörungstheoretiker. Da liest man dann von "Grundsätzlich
nur Bargeld. Alles andere führt auf Dauer zu Unfreiheit und Überwachungsstaat." oder "Mit Bargeld kann man anonym einkaufen, ist kein gläserner Bürger" –
was immer uns der gute Herr damit sagen möchte. In solchen Aussagen schwingt immerfort der Tenor und die Unterstellung mit, dass der Staat alle und jeden
ausspioniert. Woher dieses Misstrauen gegen den Staat herrührt, dass erfährt man kaum. Fragt man sie, dann hört man eher: "ich habe mal gelesen, dass..."
oder "das hat letztens ein Bekannter von mir erzählt". Der Staat möchte uns also unter Kontrolle bekommen. Jeden Einzelnen von uns. Soso. Schön zu wissen,
dass sich der Staat für meinen Kaffekonsum oder Klamottenkauf angeblich interessiert... So ein wenig erinnert mich das an einen Großonkel von mir. Dieser ist
in den 50er Jahren als DDR-Bürger rübergemacht, wie man so schön sagt. Die Mauer gab es noch nicht und so war es ein leichtes, nach Westberlin abzuhauen.
Sein schlechtes Gewissen zu diesem Schritt behielt er bis zum Mauerfall. Er begab sich, außer ein einziges Mal, nie wieder auf DDR-Gebiet. Vor Angst vor dem
Russen, sagte er. Womöglich sperrten sie ihn noch ein. Tja. Da hat der Russe wahrscheinlich jahrzehntelang drauf gewartet...
Aber zurück zu unseren Verschwörern: Ist es nicht eher so, dass viele Herrschaften in unserem Land ihre Daten viel zu leichtfertig selbst aus der Hand geben?
Initiatoren von Gewinnspielen, Phishingmails, Payback, oder andere Punktesammler sind sehr an ihren persönlichen Daten interessiert. Und die bekommen sie.
Sehr freiwillig. Die dritte Kategorie unserer Kommentatoren besteht aus den Gesetzeszitierern und Prinzipientreuen. "Ich habe schon immer mit Bargeld bezahlt
und will es weiter so. Punkt." oder "Dann hat er (der Händler) Pech gehabt - dann gibt's gar nichts". Auch das "Jedem muß überlassen werden,wie er zahlen will"
las man nicht nur einmal. Zudem gab es dann auch hier und da Einwürfe wie das "Wie sollen Kinder lernen mit Geld umzugehen wenn sie kein Taschengeld
mehr bekommen?" Durchaus eine berechtigte Frage, nur hatte diese mit dem Thema nichts zu tun, dass ein Coffee Shop das Bargeld verbannt. Die
Gesetzeskenner hingegen zitieren dann auch sehr schön und ausführlich inklusive der Nennung aller relevanten Paragraphen und Absätzen das
Bundesbankgesetz. "Solange Bargeld gesetzliches Zahlungsmittel ist, muss man es annehmen." Folgender Schreiber möchte klarmachen: "Auf Euro lautende
Banknoten sind das einzige unbeschränkte gesetzliche Zahlungsmittel." Er fügt hinzu: "Das Zauberwort ist UNBESCHRÄNKT. Wenn man streitlustig ist kann man
dafür den Laden sogar verklagen." Interessanterweise irrt sich unser Verfasser hier. Verklagen könnte man den Laden höchstens, wenn ich dort in US-Dollar
oder Gold bezahlen, oder meine Schuld bei ihm abarbeiten müsste.
Niemand hat je angezweifelt, dass der Euro in unserem Land nicht das gesetzliche Zahlungsmittel wär. Aber nur weil ein Anbieter kein Bargeld annimmt, dafür
gibt es keine rechtliche Handhabe. Nun kommen wir auch zurück zur angeblichen Annahmepflicht. Diese gibt es so explizit, wie immer behauptet wird, nicht.
Die EU-Kommission hat mit einigen Ausnahmeregelungen dafür gesorgt, dass diese Pflicht ausgehebelt werden kann. Das ganze nennt sich dann
Vertragsfreiheit. Diese Vertragsfreiheit gibt dem Händler oder Anbieter das Recht, selbst zu entscheiden, welche Zahlungsmodalitäten er ihnen als Kunde
anbietet. Hat er das klar dargelegt und weist sie vor Vertragsabschluß darauf hin, dann steht es ihm frei, Bargeld auszuschließen. Der Hinweis ersetzt somit die
Annahmepflicht. Ordern sie etwas bei ihm, sind sie automatisch mit den Vertragsbedingungen einverstanden und müssen mit ihrer Karte den Betrag
begleichen. Hier gab es natürlich auch einige Schlaue, die es darauf ankommen lassen wollen, einen Kaffee bestellen und dann sagen, sie hätten gar keine
Karte. Ein Herr meinte dann, na mal sehen, wie der Mann an der Kasse reagiert. Dann drücke ich ihm das Bargeld in die Hand, dass er ja schließlich nehmen
muss. Schlägt er es aus, ist ja selbst schuld. Ja, mein Herr, da wäre ich auch gespannt, was die Justiz zu ihrem Vertragsbruch sagen würde.
Auch in der Zukunft werden wir uns vermehrt mit dem Thema auseinandersetzen müssen. Die Zeit und der Fortschritt der Technik werden vor den
Kartenverweigerern nicht halt machen. Durch die rasante Verbreitung der sogenannten NFC-Chips, also den Funkchips auf allen Karten, wird es in einigen
wenigen Jahren nicht mehr möglich sein, an Fahrkartenschaltern des Öffentlichen Nahverkehrs, oder anderen Automaten, in bar zu bezahlen. Wahrscheinlich
dann auch nicht mehr mit der Karte direkt, sondern nur noch kontaktlos. Der Trend zeichnet sich bereits jetzt ab. Das ist mehr als verständlich, denn die
Aufsteller müssen solche Geräte weniger warten.
So sehr sich das manche auch wünschen, am Bargeld festzuhalten, der Zahlungsverkehr wird sich verändern. Und zwar stärker, als man annimmt. Wenn die
Idee des Coffee Shop-Betreibers Schule macht, werden auch andere Anbieter darüber nachdenken, das für sie viel zu teure Bargeld in ihren Läden ebenfalls
abzuschaffen. Der Inhaber des Ladens hat im Übrigen im Interview erzählt, dass sich durch diesen Schritt sein Umsatz erhöht hat. Und ganz nebenbei: Ich selbst
zahle heutzutage großteils noch nicht mal mehr mit meinen Karten. Sondern ganz einfach mit meinem Handy!