LARIFARI
Ab, über den Jordan - Der Tod
Der Tod ist eine der wenigen Dinge im Leben, die man nicht steuern, verschieben, planen,
oder anderen aufdrücken kann. Er ist ist Teil unseres Daseins, ständig präsent, ob ich es nun
wahrhaben möchte oder nicht und für viele Menschen ein Mysterium und ein Tabuthema.
Wahrscheinlich eine der Ereignisse, wovor sich die meisten fürchten, denn dem
Sensenmann ist es egal, ob ich jung oder alt bin, reich oder arm, krank oder gesund,
berühmt, oder unbekannt. Der Tod macht keine Unterschiede. Er tritt ein. Ohne Erlaubnis.
Ohne Termin. Wir alle werden sterben. Ob wir dies wollen, oder nicht. Und wir sprechen
nicht darüber.
Seltsam. Statt auszusprechen, worum es sich handelt, um den Tod, um das Sterben,
versuchen wir oft die Situation umständlich zu beschreiben. Auch ich tue das. Dahingehen,
verschieden, entschlafen, ableben, das Zeitliche segnen, oder ganz salopp ins Gras beißen, die Radischen von unten ansehen, über die Klinge springen, oder
über den Jordan gehen, der dann auch mal die Wupper sein kann. Selten hört oder liest man: er oder sie starb. Ich hab mich schon immer gefragt, warum
Menschen das tun. Irgendwie ein Rätsel. Ich wünschte, der Deutsche ginge auch mit anderen Worten so kreativ um
Manchmal schwelgt man in Gedanken an einen Verstorbenen, sieht sich alte Fotos und Filmaufnahmen an. Denkt zurück, wie es war. Wie sie waren. Einiges
vergisst man. Ereignisse werden zu Anekdoten und manches Mal ärgert man sich, dass man sie nichts mehr fragen kann. Ich denke gerne zurück. An meine
Urgroßmutter aus Österreich zum Beispiel. An ihren Akzent. "JessesMariaundJoseph, wos mogst denn? Mogst an Rührei mit Erdäpfeln?" oder ihre Begeisterung
für alte Hans Moser-Filme. Herrlich! So eine herzensgute Frau. Immer wieder kommen auch Erinnerungen an eine Großtante von mir auf. Ich übernachtete gern
bei ihr. An diesen Abenden erzählte sie viele spannende Geschichten. Wie es war im Krieg, über die Familie, über die Anfänge der DDR. Ich vermisse das sehr.
Aber auch viele andere Verstorbene sind in meinen Gedanken. Oder allgemein Gesprächsthema bei Familienfeiern.
Wird er, der Tod, mich eines Tages plötzlich überraschen? Oder kündigt er sich an? Wann und unter welchen Umständen? Bin ich zu diesem Zeitpunkt steinalt,
oder habe ich gar nicht mehr viel Zeit ab heute? Würde ich all dies tatsächlich wissen wollen? Diese Fragen stelle ich mir. Und hier bin ich wahrscheinlich nicht
allein. Seinen Todeszeitpunkt und die Umstände zu kennen, hätte wahrscheinlich mehr Nach-, als Vorteile. Ein Vorteil wäre sicher, sein Leben effizienter zu
gestalten. All das zu tun, was man vorhatte, bevor es zu spät ist. Auf der anderen Seite sähe man jedoch immer die Uhr. Wie sie abläuft und dem Schicksalstag
entgegenkommt. Könnte man mit diesem Wissen noch ruhig schlafen? Was, wenn meine Zeit bereits fast um wäre und ich kaum noch eine Chance habe, meine
Wünsche zu erfüllen?
Mit dem Tod selbst habe ich mich viele Male auseinandergesetzt. Auseinandersetzen müssen. Nicht unbedingt mit meinem mutmaßlich eigenen. Je älter man
wird, umso höher wird auch die Wahrscheinlichkeit einer Konfrontation. Das ist der Lauf der Dinge. Das erste Mal musste ich mich im Alter von sieben Jahren
damit auseinandersetzen. Ich erinnere mich, wie meine Ma ans Telefon ging, um einen Anruf entgegenzunehmen. Ich bekomme nicht mit, wer dran ist, aber es
ist ein kurzes Gespräch. Sie legte danach nicht auf, sondern schmiss den Hörer regelrecht auf den Telefonapparat, lief auf den Flur und weinte. Meine
Urgroßmutter, mit der wir sehr eng verbunden waren, bei der sie aufwuchs und ich mich oft aufhielt, ist gestorben. Das sagte sie mir, als ich fragte. Meine Eltern
nahmen an, dass ich dieses Ereignis in meinem damaligen Alter nicht verstand. Nicht begreifen kann. Somit sprachen wir kaum darüber. Und schlimmer noch,
sie nahmen mich aus Rücksicht nicht zur Beerdigung mit, die einige Wochen später folgte. Ich konnte somit nie richtig Abschied nehmen. Hier ist eine Leere
entstanden, die ich nicht zuordnen konnte. Wo ich nicht wusste, wie man damit umgeht. Eine große Hilfe zur Aufarbeitung dieses Verlustes, war meine Cousine
Conny. Sie war drei Jahre älter, als ich und ich übernachtete ab und zu bei ihr. Abends sprachen wir dann ewig über Oma, über unsere Erlebnisse mit ihr und
orakelten, was der Tod überhaupt bedeutet. So richtig vorstellen konnten wir es uns nicht, dass wir sie nie wieder sehen werden. Wir legten uns fest, dass sie
nicht gänzlich verschwunden sein kann und ab jetzt über uns wacht. Als Geist wahrscheinlich. Das war greifbar, verständlich und man kam sich nicht blöd vor,
wenn man mit ihr, mit dem imaginären Geist laut sprach.
Mit den Jahren folgten viele aus unserem Familienkreis. Engere und entfernte Verwandten. Geliebte und unbeliebte. Bei den einen sagte man, es war viel zu
früh, bei anderen: sie waren selbst schuld und bei den nächsten hoffte man auf ein früheres Ableben, damit sie durch ihre todbringende Krankheit nicht all zu
sehr leiden müssen. Wenn ich recht gezählt habe, waren es bis heute 18. Hinzu kamen Bekannte und Freunde. Der jüngste von ihnen war 20, die älteste 92.
Mein Erlebnis als Siebenjähriger sollte dazu führen, dass ich mich grundsätzlich verabschieden wollte, verabschieden musste. Soweit es die Situation zuließ,
auch von Angesicht zu Angesicht. Entgegen der immer wiederkehrenden Mahnungen anderer "Mensch, das Bild wirste immer vor Augen haben, also ich würde
es nicht machen", habe ich gern persönlich Abschied genommen. Mir die Zeit genommen, die ich brauchte. All die Verwandten, die ich im Tode sah, sind
friedlich gestorben. Sie sahen aus, als ob sie schliefen. Trotz der Traurigkeit über den Verlust habe ich immer Worte gefunden, die ich ihnen auf den Weg gab.
Auch, wenn sie diese nicht mehr hören konnten. So wurde es leichter für mich. Vom Großteil der anderen Verstorbenen verabschiedete ich mich auf ihren
Beisetzungen. Die Zeremonien fielen sehr unterschiedlich aus. Mal sehr einfach, ein anderes Mal sehr feierlich.
Was ich sehr schön finde, ist es über Friedhöfe zu spazieren. Sehr oft tat ich dies in meiner Schulzeit, nachdem meine Urgroßeltern starben. Ich war oft an ihrem
Grab. Ein Klassenkamerad begleitete mich ab und zu, weil auch sein Vater, der in recht jungen Jahren verstarb, hier seine letzte Ruhe fand. Auf einem Friedhof
kann ich abschalten. Ein wenig Ruhe finden. Und ich denke manchmal über den eigenen Tod nach. Man liest sich die Namen auf den Grabsteinen durch und
fragt sich, wer all diese Leute waren. Was für ein Leben sie führten. Man bedauert manche Hinterbliebene, wenn man liest, dass ihre eigenen Kinder hier
begraben liegen, die ein ganzen Leben vor sich hatten. Man wundert sich, dass Gräber verkommen und überwuchern, obwohl das Sterbedatum relativ frisch ist.
Ab und zu liest man bekannte Namen. Von ehemaligen Nachbarn, Geschäftsleuten, oder Prominenten, wie Helmut Newton oder Marlene Dietrich auf dem
Friedhof in der Stubenrauchstrasse in Friedenau.
Heutzutage sterben die Menschen oft allein, oder in Anwesenheit weniger. Der Tod wird aus den unterschiedlichsten Gründen aus dem näheren Umkreis
ausgelagert und nicht selten professionellen Kräften überlassen. Obwohl sich ein Großteil der Bevölkerung wünscht, zu Hause zu sterben, sind es letztendlich
nur 25 bis 30 Prozent, die sich diesen Wunsch erfüllen können. Der Großteil verstirbt in Krankenhäusern, ein Viertel in Pflegeheimen oder Hospizen.
Ein Sterbetag wird mir ganz sicher noch lange im Gedächtnis bleiben. Der meines Vaters. Nicht nur, weil er vor relativ kurzer Zeit stattfand, sondern wegen der
Umstände, der Mystik und den Zufällen, an diesem Tage. Dass dieser Tag kommt, war keine große Überraschung. Bereits ein knappes Jahr vorher, bekam er
eine Diagnose, die nicht viel Hoffnung auf eine Genesung setzte. Die Ärzte und das behandelnde Krankenhaus versuchten über die Monate trotzdem, eine
Besserung zu erzielen. Bis es eines Tages hieß, er wäre austherapiert. Ab hier hieß es, die Zeit ist gekommen. Es war für die gesamte Familie schwer, das zu
verarbeiten. Man kann nichts tun, nur abwarten. Waren es Monate, Wochen, oder nur Tage, die ihm blieben? Diese Ungewissheit ist unerträglich. Sein
Gesundheitszustand verschlechterte sich in diesen Wochen rapide. Es war Anfang März, draußen war es kalt, um die 2 – 3°C und ich hatte Frühdienst bei der
Bank. Kurz vor der Mittagszeit bekam ich einen Anruf von meiner Frau, ob ich vielleicht schon vorzeitig nach Hause kommen wolle, Vaddern ginge es heute gar
nicht gut. Ich packte meine Sachen und fuhr heim. Bevor ich losfuhr, benachrichtigte ich noch meine große Tochter, die ebenfalls arbeitete, um auch ihr
Bescheid zu geben. Als ich in unsere Strasse einbog flogen unerwartet einzelne Scharen von Raben über mein Auto. Hin und her. Bis ich feststellte, dass die
zirka 100 Quadratmeter große Wiese, die zwischen unserer Straße und dem Busplatz vor unserer Tür gänzlich von den Tieren eingenommen war. Einen
vollkommen schwarzen Teppich aus Vögeln habe ich so noch nie gesehen. Vereinzelte Raben sind vor unserer Tür keine Seltenheit. Sie tummeln sich auf den
Bäumen unseres Gartens, auf den Zäunen, oder den Oberleitungen. Aber diese Anzahl, die ich dort sah, war kaum zu begreifen, kaum zu zählen. Mich überkam
ein Schauer. Als ich ins Haus ging und von diesem Anblick erzählte, sagten meine Frau und meine Mutter, dass sich die Tiere hier bereits den ganzen Tag
bemerkbar machten und diese sowohl unseren Garten, wie auch die der Nachbarn bevölkerten.
Ich setzte mich in das Zimmer meines Vaters. Er war nicht mehr ansprechbar. Ihm ging es wirklich nicht gut. Noch zwei Tage zuvor saß er im elterlichen
Wohnzimmer, sah fern und spielte am Nachmittag eine Partie Schach mit einem Bekannten. Ich fasste es kaum, in welchem kläglichen Zustand er jetzt war. Als
ich an seinem Bett saß und immer wieder etwas zu ihm sagte, stellte ich fest, dass es einfach zu ruhig, viel zu bedrückend war. Ich holte einen tragbaren
Radiorekorder und ließ Songs seiner Lieblingsband laufen. Come together, Help, Love me do, Penny Lane und Eleanor Rigby von den Beatles erschallten durchs
Zimmer. Irgendwie beruhigend. Während ich bei ihm saß füllte sich das Haus. Nicht nur meine Tochter kam plötzlich zur Tür herein, sondern auch meine große
Nichte. Anscheinend hatten sie sich während der Zeit miteinander verständigt. Später folgten dann noch meine beiden Brüder, einige Partner und Bekannte.
Einige waren nur zufällig gekommen, da ihnen keiner Bescheid gab. Sie wollten nur so nach ihm schauen. Da keiner von uns wegen der Aufregung zu Mittag
gegessen hatte und alle Hunger bekamen, bestellten wir umfangreich etwas beim Inder. Es fühlte sich an, wie eine Familienfeier. Wie etwas Geplantes.
Mittlerweile wechselten wir uns ab, bei meinem Vater zu sein. Das Zimmer war recht klein, so dass nicht alle gleichzeitig dort sein konnten. Jeder nahm sich die
Zeit, sich zu verabschieden, obwohl niemand die Situation richtig deuten konnte. War heute der Tag? Wird er tatsächlich heute sterben? Der Nachmittag brach
an. Wir unterhielten uns, gingen abwechselnd nach ihm schauen und das Haus war voll. Alle aus dem engsten Familienkreis waren zu diesem Zeitpunkt bereits
bei ihm, meine kleine Tochter kurz vor der Abfahrt zur Kita. Wer fehlte, und sie kam als letzte zu Besuch, war meine jüngste Nichte. Meine Mutter trug Kaffee
und Kuchen auf. Meine Nichte zögerte zu ihm zu gehen, weil sie nicht genau wusste, was sie erwartete. Punkt 16.00Uhr, zur besten Kaffezeit überwand sie sich.
Sie betrat das Zimmer, verabschiedete sich und mein Vater hörte auf zu atmen. Alle, ohne Ausnahme sagten Lebewohl. Und er wartete, bis jeder diese
Gelegenheit wahrnahm. Alle Kinder, samt Anhang, alle Enkel und meine Mutter. Wie geplant. Die Familienfeier wurde zur Abschiedsfeier. Die behandelnde
Ärztin, der wir Bescheid gaben, stellte dann offiziel den Tod fest. Den späten Nachmittag verbrachten alle in Trauer und wer wollte, nutzte noch die letzte
Möglichkeit, ihn zu sehen. Erst am Abend benachrichtigten wir einen uns bekannten Bestatter. Als dieser fragte, um wen es sich handelt, antwortete ihm meine
Mutter "mein Mann hat sich aus dem Staub gemacht". Dieser Tag endete mit gemischten Gefühlen und dem Unglauben, wie er ablief. Es war wie in einer
Theaterinszenierung, wie in einem Film. Ein mysteriöser und perfekter Tag. Die Raben, die zufälligen Gäste, die intuitiven Benachrichtigungen, man möge nach
Hause kommen, dass tatsächlich keiner der Familie fehlte, niemand vom engeren Kreis über den Tod in Kenntnis gesetzt werden musste und dass er tatsächlich
an diesem Tage von uns ging. Früher, als alle Generationen unter einem Dach lebten und es normal war, dass man zu Hause starb, wäre solch eine
Abschiedsfeier wahrscheinlich nichts Einzigartiges gewesen. Aber in der heutigen Zeit war dies etwas Besonderes, was ich bis dahin so nie erlebt habe.
Das erste, was mir in diesen tragischen Tagen durch den Kopf ging war, dass ich in dieser Generationslinie der Nächste bin. Urgroßvater, Großvater, Vater und
Sohn. In dieser Situation ist der Tod ein Stückchen näher gerückt. Auch, wenn es hoffentlich noch einige Jahrzehnte dauert.
Was ich kaum verstehen kann, ist, dass sich viele Menschen mit dem Tod, vor allem mit dem eigenen gar nicht beschäftigen. Nach mir die Sintflut. Während
meines Berufslebens als Banker habe ich wegen dieser Einstellung viele, zum Teil unangenehme Gespräche mit Hinterbliebenen führen müssen. Es gibt
juristische und gesetzliche Vorgaben, an denen weder ich, noch die Banken etwas ändern können. So groß die Not und mein Mitgefühl für die Hinterbliebenen
auch ist, oft konnte ich nicht helfen, da der oder die Verstorbene keinerlei Regelung hinterlassen oder Vorsorge getroffen hat.
Natürlich wird man sich als junger Mensch, sagen wir als 20-jähriger nicht unbedingt Gedanken machen, was zu organisieren sei, sollte man frühzeitig sterben.
Ich bin ja noch jung und habe noch mindestens 60 Jahre vor mir. Laut Statistik. Das Leben hat gerade erst richtig begonnen. Hat man dann seinen Beruf
gefunden, eine Familie gegründet oder gar Kinder in die Welt gesetzt, beginnen zwar die ersten Überlegungen, was wäre wenn, aber die meisten von ihnen
nehmen dies nicht allzu ernst. Einige schließen für den in ihren Augen unwahrscheinlichen Fall der Fälle vielleicht noch eine Risiko-Lebensversicherung ab, die
zur größten Not den Kredit fürs Auto, oder den Hauskauf abdecken. Aber das war es dann schon oft.
Interessanterweise ändert sich diese Einstellung für viele zum eigenen Ableben nicht mehr. Bis ins hohe Alter hinein. Das stellte ich immer wieder fest. Ob nun
vermögend, oder nicht, sie möchten nicht daran denken. Immer wieder hörte ich Sätze wie "ich lebe ja nicht, um meiner Verwandtschaft etwas zu hinterlassen".
Nein. Das nicht. Aber die Probleme der Hinterbliebenen waren oft eher organisatorischer Natur. Nicht die, wie man ans große Geld, ans Erbe kommt. Gut,
solche Fälle habe ich natürlich auch erlebt, aber es waren eher die Ausnahmen. Nein, ganz gewöhnlich ging es um alltägliche Dinge, wie der Auflösung eines
Dauerauftrages für die Miete, für einen Buchklub, oder für Versicherungen. Es ging um die Bezahlung der Bestattung. Oder auch nur, um die Änderung der
Postzustellung. Hatte der Verstorbene keine entsprechenden Vollmachten oder Anweisungen hinterlassen, war die Not groß. Da die Banken das wussten,
regelten sie die schwierigste Notsituation in früheren Jahren entgegenkommender. Reichte ein Verwandter oder Lebensgefährte des Verstorbenen die
Rechnung für die Beisetzung ein, konnte diese von der Hinterlassenschaft bezahlt werden. Das funktionierte so lange, bis eines Tages ein zu gieriger Erbe Klage
einreichte und gewann. Da seiner Meinung nach sein Erbe durch die Bestattung geschmälert wurde, zu der er so keine Erlaubnis gab (man hätte dies auch in
der allerbilligsten Variante durchführen können), verlangte er von der Bank seinen verlorenen Anteil zurück. Diese hätte schließlich die in seinen Augen
unzulässige Überweisung an das Bestattungsinstitut genehmigt und ausgeführt. Leider gab man ihm Recht und die Bank musste zahlen. Die Konsequenz
daraus war, dass ab diesem Zeitpunkt keinerlei Überweisung mehr genehmigt wurden, bevor nicht ein Erbschein vorlag. Die Beantragung eines solchen konnte
sich zum Teil bis zu sechs Monate hinziehen. Eine einfache Vollmacht für den Todesfall hätte hier ausgereicht. Sprach man die älteren Kunden darauf an und
erzählte ihnen von den Möglichkeiten, zuckten einige von ihnen bei dem Wort Vollmacht bereits zusammen. Nee, nie im Leben. Die räumen mir vielleicht dann
das Konto leer. Sowas will ich nicht. Dabei zählte dann auch nicht, dass sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr leben würden, wenn diese Vollmacht aktiv wird.
Aber auch im privaten Bereich, abseits meiner Bank, stelle ich fest, dass kaum jemand über das eigene Ableben spricht. Sei es in der Familie, im Freundes- oder
Bekanntenkreis. Ich höre nur immer von den schwierigen Entscheidungen, die zu treffen sind, sollte der Fall eingetreten sein. Ja, wie hätte sich der Verstorbene
selbst entschieden, was mit seinen Hinterlassenschaften geschieht? Hat er überhaupt etwas hinterlassen, um seine Beerdigung auszurichten? Wie müsste eine
Bestattung aussehen, dass sie ihm oder ihr gerecht wird? Welche Worte, Themen, oder Musik sollten gewählt werden, um den Abschied würdig zu gestalten?
Darf man bei einer Trauerfeier humorvoll agieren? Fragen über Fragen.
Was ich auch faszinierend finde ist, wie einzelne Kulturgruppen mit dem Tod, oder besser gesagt mit der Vorstellung, was danach geschieht, umgehen. Zum
Beipiel der Día de los Muertos, das Totenfest in Mexico. Der Ursprung findet sich hier bei den Maya und den Azteken, die glaubten, dass die Verstorbenen an
einem Tag im Jahr aus ihrem Reich auf die Erde zurückkommen, um mit den Hinterbliebenen zu feiern. Ein wunderbarer Brauch und ein fröhliches Fest. Oder
die Reinkarnation, die Wiedergeburt, die vor allem im Hinduismus oder Buddhismus vorherrschen. Auch in der Antike finden sich bereits erste schriftliche
Aufzeichnungen zu diesem Glauben. Auch eine schöne Vorstellung ist die, dass man zum Geist wird und über die Nachfahren wachen kann. Nicht ganz so
reizvoll ist der Gedanke an den Himmel, oder die Hölle. Beides würde bedeuten, dass man sehr fern von seinen Liebsten wäre. Und zudem, dass man sich
laufend Gedanken machen müsste, ob das, was man tut immer rechtens ist, damit man dem Himmel näher kommt.
Vor dem Tod selbst habe ich keine Angst. Vielmehr frage ich mich, was ich hinterlasse, wenn es soweit ist. Ich meine damit nichts materielles, sondern ob ich
zum Beispiel meinen Kindern das Rüstzeug für ein gutes Leben übergab. Ob ich einen kleinen Fußabdruck in der Welt hinterließ, mit meiner Erziehung, meinen
Geschichten, meiner Musik. Werden die Leute Anekdoten über mich erzählen, denken sie an mich und werde ich in guter Erinnerung bleiben? Ich kann es nur
hoffen. Vorsorge für Konten und Versicherungen habe ich bereits vor vielen Jahren getroffen. Wie der Großteil, würde natürlich auch ich mir wünschen, dass ich
erst im hohen Alter in meinen eigenen vier Wänden sterben werde. Ein erfülltes Leben und noch immer eine große Familie habe.
Mein Vater war der erste in unserem Umkreis, dessen Urne nicht in der Erde vergraben wurde, sondern in einem Kolumbarium, einer Urnenwand seine letzte
Ruhestätte fand. Diese Art der Beisetzung finde ich großartig und es wäre auch meine Wahl. Es ist eine schöne Vorstellung, dass die letzten physischen Reste
meines Daseins nicht einfach verrotten würden, sondern einen festen Platz haben, wo jeder genau weiß, wo ich bin. Würde ich meine eigene Beisetzung und
Trauerfeier selbst planen können, würde sich der Fokus auf drei Dinge legen. Eine humorvolle Rede, Musik von mir selbst, gespielt mit einer E-Gitarre mit
Begleitung oder einem Saxophon und einer anschließenden unterhaltsamen Party. Die Leute, die kommen, sollen ihren Spaß haben. Ich bin gespannt, ob es mir
zu diesem Zeitpunkt möglich sein wird, solch eine Organisation durchzuführen. Toll wäre auch die Option, die Rede sogar selbst zu schreiben und als Audiofile
zu hinterlassen. Dann müsste kein Fremder etwas über mich und mein Leben erzählen, sondern ich könnte es selbst tun. Das hätte was.
Nun gut. Wie schon gesagt, ich hoffe, für solche Überlegungen habe ich noch viel Zeit. Ich möchte meine Kinder und gegebenenfalls meine Enkel noch
aufwachsen sehen. Der Welt noch viel Freude mit meiner Musik und meinen Geschichten geben und meine spätere Rente ausgiebig nutzen können. Immerhin
fehlen mir noch so einige Orte auf auf diesem Planeten, die ich gern besuchen und sehen möchte. Trotzdem wird der Tag kommen. Unausweichlich. Aber dann
wird mein Dasein beendet wrden mit dem Wissen, dass der Tod noch lange nicht das Ende sein muss. Denn wirklich sterben werde ich erst, wenn keiner mehr
an mich denkt, sich erinnert oder meinen Namen nennt.