LARIFARI
Oh, Corona
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Aus aktuellem Anlass: Normalerweise ist es nicht meine Art, aktuelle Ereignisse des
Öffentlichen Lebens zeitnah zu verarbeiten und meine Gedanken zu veröffentlichen. Das
werden die meisten Hörer meines Podcasts und meine Leser im Blog wissen. Regulär
entstehen meine Texte über mehrere Tage hinweg und brauchen ihre Zeit, um fertig gestellt zu
werden. Derzeit rollen aber Ereignisse durch unser aller Leben, die ich nicht ignorieren kann
und die mich ärgern.
Als die ersten Meldungen zum Corona-Virus in den Nachrichten verkündet wurden, habe ich es
zunächst nur zur Kenntnis genommen. Es war traurig zu hören, dass es Todesfälle gab und sich
viele Menschen angesteckt haben. Schaute ich auf die Zahlen, dann stellte ich fest, dass in
China beispielsweise nur 0,005 % der Bevölkerung infiziert wurden. In diesem Moment machte
ich mir wenig Gedanken dazu. Das muss ich zugeben. Der Anteil der Kranken war
vergleichsweise gering, die eigentlichen Folgen unklar und kaum schätzbar und China war in
weiter Ferne. Es ist erschreckend, wie schnell man etwas verdrängt oder abtut, wenn
bedrohliche Ereignisse nicht im eigenen oder näheren Umfeld stattfinden. Je weiter etwas von
uns geographisch entfernt liegt, umso weniger liegt der Fokus darauf. Das gilt auch für die Medien. Schaut man die sich die Kriege, Auseinandersetzungen und
Katastrophen auf dieser Welt an, dann erkennt man dies.
Als die ersten Fälle einer Viruserkrankung in Europa bekannt gegeben wurden, informierte ich mich und setzte mich damit auseinander, wie wahrscheinlich ein
Großteil der Bevölkerung auch. Ich sah, wie in Asien das öffentliche Leben praktisch zum Erliegen kam und was alles getan wurde, um die Ansteckungsgefahr zu
bremsen. Erhielt man Fakten zu diesem Virus, wurde langsam klar, was zu tun ist, worauf man verzichten sollte, für wen es eine Gefahr darstellt und dass es für
die große Masse unserer Gesellschaft glücklicherweise glimpflich ablaufen würde, sollte man sich infizieren. Aber nicht für alle.
Die Risikogruppen wurden von der Wissenschaft und der Politik klar benannt. Genauso wie die Information, dass es derzeit weder ein therapeutisches
Heilmittel, noch eine Möglichkeit gibt, sich im Vorfeld dagegen zu schützen. Und gerade hier liegt das eigentliche Risiko. Weil man sich langsam der Gefahr
bewusst wurde, auch in Hinblick der Erfahrungen anderer Länder, entschied man auch bei uns erste Einschränkungen des öffentlichen Lebens vorzunehmen.
Das fand ich konsequent und wichtig. Auch wenn die Politik nur zögerlich reagierte, kann ich viele Maßnahmen und Entscheidungen nachvollziehen und habe
vollstes Verständnis dafür.
Mein Leben, wie das vieler anderer, ist derzeit eingeschränkt. Ich kann Veranstaltungen für die ich Eintrittskarten erwarb, nicht besuchen, weil sie nicht
stattfinden. Ich werde auf meinen gebuchten Urlaub verzichten müssen, weil die Region, in die ich reisen wollte abgeriegelt ist, meine Frau und ich stehen vor
erheblichen Herausforderungen, unser Kind zu betreuen, da die Schulen geschlossen sind. Im Arbeitsumfeld werden immer mehr Vorsichtsmaßnahmen
eingeführt. Und ich selbst kann keine Konzerte mehr geben. So ergeht es vielen. Keiner von uns wird daran etwas ändern können. Ein eingeschränktes Leben
für eine begrenzte Zeit, um die Ansteckungsgefahr zu verlangsamen. Bis hoffentlich ein Heilmittel existiert.
Einigen scheint nicht klar zu sein, was das bedeutet. Sie treffen sich noch immer in Parks, veranstalten Grillnachmittage, feiern sogenannte Corona-Partys und
scheren sich kaum um den Rest der Welt. Dass sie sich um sich selbst keine Gedanken machen ist die eine Seite. Viele von ihnen sind jung, manche würden es
wahrscheinlich gar nicht bemerken, wenn sie sich anstecken. Und sie gehören keiner Risikogruppe an. Aber wie naiv und dumm kann man sein, das Leben
anderer, vielleicht sogar das der eigenen Eltern oder Großeltern zu gefährden? So etwas kann ich nicht verstehen. Dass es ernst ist, sollte mittlerweile jedem
bewusst sein. Aber selbst nach vielen Warnungen und Aufrufen und umfassender Aufklärung finden immer wieder Treffen im großen Umfang statt. Wie erst
gestern im Humboldthain im Wedding, wo am Ende eine ganze Hundertschaft der Polizei für die Auflösung sorgte. Diese Egoisten und Unverantwortlichen, die
Ignoranten und Verharmloser werden es letztendlich sein, die uns allen, der großen Masse, eine Ausgangssperre bescheren werden. Weit davon entfernt sind
wir nicht.
Wie immer in Krisen traf es zuallererst die Kulturschaffenden. Die Kunst und die Unterhaltung. Darüber bin ich sehr traurig. Denn ich kenne eine Menge Leute,
die davon leben müssen. Leute, die sich von Auftritt zu Auftritt hangeln, um ihren Lebensunterhalt mehr schlecht als recht zu verdienen. Sie alle profitieren
schon lange nicht mehr von ihren eigentlichen Produkten, die sie zur Unterhaltung der Menschen herstellen. Von ihren Alben, Cds, Dvds, Büchern oder
Downloads. Der Wert ihrer Arbeit ist in den Augen der Konsumenten extrem gesunken, so dass sie sich an die einzige Alternative klammern müssen, die ihnen
ein Einkommen sichert, um das Nötigste abzudecken: die öffentliche Darbietung. Ich hörte letztens in einem Podcast sogar den Satz, dass die Moderatoren ein
Album oder eine CD als nettes Merchandising bezeichneten. Hallo? Was ist hier schief gelaufen? Da diese Einnahmequelle heutzutage kaum existent ist, bleibt
den Künstlern nichts anderes übrig, als ihr Geld vor Ort zu verdienen. Das können sie derzeit nicht. Verständlicherweise.
Wie es ist auf Unterhaltung verzichten zu müssen, dass stellen die Menschen jetzt fest. Kein Konzert, keine Vorlesung, keine Darbietung. Auch wenn einiges auf
einen späteren Zeitpunkt verschoben werden kann, ist es kein Trost, weil die Künstler auch jetzt ihre Miete und ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. Daher
würde ich mir ein langsames Umdenken in der Bevölkerung wünschen, wie sie ihre Lieblingskünstler auch in solch einer Krise unterstützen können. Vielleicht
nur mal ein Denkanstoß: Viele sind bereit eine Menge Geld alle zwei Jahre auszugeben, um ihre Technik, ihre Smartphones und Tablets auf den neuesten Stand
zu bringen. Hier werden nicht selten bis zu 1.000,00 € gezahlt, um dann am Ende ihre Musik über die billigsten Plattformen, wie Spotify zu hören, von denen der
Künstler kaum profitiert. Was wäre so schlimm daran, wenn ich meine Alben, die ich sowieso höre einfach mal kaufe? Und 10,00 bis 15,00 Euro für eine
Produktion, oder ein Buch ist im Verhältnis zur Technik nur ein lächerlicher Bruchteil.
Die die jetzt am lautesten nach Unterstützung schreien sind nicht die, von denen ich gerade sprach, sondern große Unternehmen, wie der Flugzeugbauer
Boeing, diverse Flugunternehmen, wie die Lufthansa, Reiseunternehmen, wie die TUI, Modehersteller, wie Marc ´o Polo und so könnte ich die Liste
wahrscheinlich endlos weiterführen. Natürlich werden solche Unternehmen ebenso wie viele andere von der Situation überrascht. Aber geht es hier ums
Überleben, oder um ihre Aktienkurse? Haben solche Giganten nichts in der Hinterhand, nicht vorgesorgt für Eventualitäten? Schnell wird dann auch immer
gegenüber der Politik die große Drohgebärde aus dem Ärmel geschüttelt: Massenentlassungen, wenn uns nicht geholfen wird. Der Gewinn darf nicht
schrumpfen. Gerade solche Unternehmen sind es, die den Kapitalismus voran treiben, jegliche Einschränkungen abschaffen wollen und für ihre
unternehmerische Freiheit plädieren. Der Markt regelt das, ist von ihnen zu hören. Komisch ist aber, dass sie dann plötzlich nach Staatshilfe schreien, wenn es
nicht läuft.
Was ist mit den Unternehmen, die unser Land tatsächlich stützen. Die vielen Mittelständler, die Klein- und Einzelunternehmer, die diese Krise existenziell
betrifft? Viele von ihnen haben nicht die Möglichkeit, große Reserven zu schaffen, ähnlich wie die Kunstschaffenden, weil sie oft von Monat zu Monat planen.
Werden sie nachher alle gleich behandelt, wenn der Staat seine versprochene Hilfe leistet? Ich hoffe es sehr, aber noch glaube ich nicht ganz daran. Wir werden
es sehen.
Was mich derzeit wirklich erschüttert und wofür ich überhaupt kein Verständnis aufbringen kann, ist das Kaufverhalten einiger rücksichtsloser und
unsolidarischer Mitmenschen. Von Anfang an wurde klar gestellt, dass es keine Einschränkungen in der Versorgung der Bevölkerung geben wird. Sowohl die
Politik, als auch der Handel haben bestätigt, dass es weder Nachschubprobleme, noch Mangel gibt, Supermärkte und Lebensmittelläden zu beliefern. Wenn ich
mir derzeit die Supermarktregale anschaue, zeigt sich ein anderes Bild. Dieses Problem ist aber keines, dass der Handel verursachte, oder die Zulieferer,
sondern eins, das wenige egoistische und wirklich rücksichtslose Mitbürger ausgelöst haben. Sie sind es, die palettenweise Lebensmittel und Gebrauchsgüter
aus den Märkten karren, weil sie Angst haben, sie persönlich kommen zu kurz. Und dabei geht es nicht nur um die vielbeschworenen Nudeln oder das
Klopapier. Auch unsere Obst-und Gemüseregale, die Brotregale, Mehl- und Konservenregale, Desinfektionsmittel und vieles mehr, wird bis auf das letzte Teil
leergeräumt. Es wird unnötig und völlig ohne Grund ein Mangel erschaffen, der viele benachteiligt. So eine assoziale Verhaltensweise macht mich sprachlos und
wütend. Nicht ich werde unter solchen Umständen leiden, weil ich die Möglichkeit habe mit meinem Auto den nächsten oder übernächsten Supermarkt
anzufahren, sondern all die, die diese Option nicht haben. Die Oma, die mit ihrer kleinen Einkaufstasche das Nötigste tragen kann, oder Menschen, die in ihrer
Handlungsfähigkeit eingeschränkt sind.
An dieser Verhaltensweise bewahrheitet sich mal wieder der Spruch: „Jeder ist sich selbst der Nächste“ „und nach mir die Sintflut“. Was einige wenige
verursachen trifft am Ende eine breite Masse. Denn nicht jeder hat die Möglichkeit mit großem Gefährt um 8.00Uhr vor dem Supermarkt zu lauern, um seinen
Wagen dann bis zum Dach zu füllen. Und überhaupt: Was soll die Geschichte mit dem Klopapier? Ganz ehrlich: Klopapier? Warum? Stapeln sie die Rollen zu
Hause und bauen dann den Fernsehturm nach? Oder ist Klopapier jetzt günstiger, um eine Wärmedämmung ins Haus zu bringen? Ich finde das äußerst
rätselhaft. Dass die Amis sich derzeit mit Waffen eindecken, um die imaginären Plünderer aufzuhalten, die womöglich ihr Haus stürmen könnten, finde ich
ebenfalls sehr seltsam. Aber vielleicht ist es ja auch nur die Vorstufe zum Klopapierhamstern. Der mit den meisten Knarren unterm Arm, bekommt die Paletten.
Natürlich wären die Waffen nur zur Abschreckung...
Ich sehe es jetzt schon. Tonnenweise werden in den nächsten Wochen Obst und Gemüse im Biomüll landen, weil es doch irgendwann vergammelt.
Fertiggerichte-Hersteller werden in den nächsten Jahren wenig Absatz haben und auf den meisten Grillpartys wird zukünftig Nudelsalat gereicht, bis es allen aus
den Ohren kommt.
Was mich auch erschreckte, ist das Verhalten einiger, die aus medizinischen und therapeutischen Wirkungsstätten Dinge stahlen, die dort zum täglichen
Gebrauch benötigt werden. Täglich lese ich Berichte von solchen Ereignissen, die mich fassungslos machten. Aus einer Schule wurden 700 Rollen Klopapier und
etliche Liter Seife geklaut, aus Krankenhäusern und Arztpraxen Schutzmasken und Desinfektionsmittel. Leute, was ist mit Euch los? Man kann es gar nicht
ausdrücken, wie schäbig und asozial ein solches Verhalten ist.
Was es derzeit den ganzen Verschwörern nutzt, ihren geistigen Dünnpfiff mit den absonderlichsten Theorien in die Welt abzusetzen, um zusätzlich Unsicherheit
zu verbreiten, ist mir ebenso ein Rätsel. Massenhaft werden hier Gerüchte, Fake-News und Desinformationen rund um die Krise gestreut, dass sich einem die
Nackenhaare sträuben. Ich meine, haben die Menschen nicht schon genug mit der aktuellen Realität zu kämpfen? Brauchen sie zusätzliche Ängste? Nein, auch
das verstehe ich nicht. Vielleicht kann es mir einer mal erklären.
Ein Großteil unserer Gesellschaft hat zum Glück verstanden, warum die Regierungen vieler Länder solche drastischen Maßnahmen durchführen, wie wir sie jetzt
erleben. Es geht vor allem darum, dass unsere Gesundheitssysteme handlungsfähig bleiben. Es nutzt keinem, wenn Krankenhäuser mit Corona-Erkrankten
vollgestopft, die Betten ausgelastet sind und am Ende die wirklich Hilfsbedürftigen mit Herzinfarkt, Schlaganfall oder schweren Unfällen nicht aufgenommen
werden können. Schon jetzt sind Ärzte, Schwestern und Krankenhauspersonal an ihre Grenzen angelangt. Ich möchte mir nicht vorstellen, wie es nachher
aussähe, wenn sich die Lage zuspitzt.
Was wir jetzt brauchen ist vor allem Besonnenheit, Rücksichtnahme und Solidarität untereinander. Nur gemeinsam können wir dafür sorgen, dass unsere
Gesundheitssysteme nicht zusammenbrechen. Die Krankheit selbst können wir nicht aufhalten, nur die Verbreitung verlangsamen. Vielleicht finden wir auch
wieder die Muße Kunst und Kultur zu schätzen. Gerade in diesen Zeiten, wo sie extrem fehlt. Unterstützt eure Clubs und Veranstaltungsorte, die Künstler und
Kulturschaffenden auf andere Weise, als nur mal zum Event vorbeizuschauen. Was gerade nicht möglich ist. Kauft ihre Cds, Bücher, Merchandising Artikel, damit
sie in solchen schweren Zeiten über die Runden kommen. Wertschätzt sie nicht mit Streams, oder dem Schauen von Youtube-Videos, sondern mit echten
Käufen. Nur dann haben auch sie die Möglichkeit, diese schwere Zeit überstehen zu können.
Bitte bleibt alle gesund, bleibt soweit es geht zu Hause und vielen Dank an all die Helfer da draussen, die sich um uns kümmern