LARIFARI
Das große Versagen unserer Radiostationen
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Lockdown - Achte Woche. Täglich, fast stündlich flattern die neuesten Nachrichten rund um Covid19
auf allen Kanälen ins Haus. Noch immer sitzen viele Menschen in ihren Wohnungen, können ihrer
Arbeit nicht nachgehen, oder verrichten ihren Dienst im Home-Office. Kinder gehen nicht zur Schule
und in der Politik und den Medien diskutiert man, wann nun der richtige Zeitpunkt wäre, wieder ins
normale Leben zu starten. Am lautesten schreien die Rechten und die Neoliberalen nach einer
schnellen Lösung. Die, die in den Jahren zuvor meinten, der Markt regelt alles von allein, ersuchen
jetzt umfangreiche Hilfen vom Staat. Die Gruppe der Unbelehrbaren, der Ignoranten und die
Gemeinde der Verschwörer wird größer und ihre Theorien verworrener und absurder. Was ich in
dieser Zeit sehr spannend finde, ist, wie kreativ manche Gruppen in dieser Situation handeln.
So in etwa zeichnet sich das Bild des aktuellen Zustands in diesem Land ab. Ich selbst bin derzeit vor allen Dingen Vater, Lehrer, Koch und Angestellter und finde
kaum noch Zeit für wichtige Dinge, die ich normalerweise an meinen freien Vormittagen erledige. Meine Proben fallen aus. Mein Podcast leidet darunter, wie
vielleicht der ein oder andere Hörer bereits bemerkt hat. An Werbung für mein kleines neu gegründetes Platten-Label oder an Marketingmaßnahmen für die
aktuelle CD meiner Band brauche ich derzeit gar nicht denken, denn Unterstützung erhalte ich nicht. Vor allen Dingen nicht von denen, die den Auftrag dazu
haben. Lagerkoller und Langeweile, von denen viele berichten, sind bei mir in weiter Ferne.
Vor einigen Wochen habe ich eine Folge meines Podcasts dem Fernsehen gewidmet. In dieser schnitt ich auch ein Thema an, dass mich seit längerem
beschäftigt und worüber ich mittlerweile oft nachdenke. Der Ursprung dieser Gedanken ist zwar von egoistischen Absichten geprägt, aber je mehr ich mich
damit auseinandersetze, umso klarer wird, dass wir in Deutschland ein jahrelang bekanntes Problem haben. Ein Problem, das hausgemacht ist und das nicht
nur mich, als Inhaber eines kleinen Labels trifft, sondern den Großteil unserer deutschen Musikkultur: Ich spreche vom großen Versagen unseres Rundfunks, im
besonderen der deutschen Radiostationen.
Nichts liegt ferner für einen Musiker, als den Wunsch zu hegen, seine Musik im Radio zu hören. Verständlich und nachvollziehbar. Ganz ohne Zweifel, gab auch
ich mich der Illusion hin, dass dieser Wunsch eines Tages in Erfüllung gehen würde. Ich schrieb Songs, ich habe Cds veröffentlicht und führte meine Musik
öffentlich auf. Gemeinsam mit meinem Texter Torsten, sahen wir zu, unsere Kunst zu bewerben. Zeitungen, einige Plattenlabel und natürlich Radiostationen
wurden Anfang der Neunziger mit unserem Debutalbum "Egoist" beglückt. Den richtigen Nerv schienen wir nicht getroffen zu haben, nahmen wir an. Die
offizielle Resonanz war recht bescheiden. Einige hundert Cds sind wir trotzdem losgeworden und hatten zumindest hier einige schöne Rückmeldungen. Dass
unsere Musik nicht im Radio spielte, nahmen wir hin. Wir gingen davon aus, dass wir zu unbekannt waren, sich daher niemand für uns interessierte und
wahrscheinlich war auch unser Material nicht besonders radiotauglich. Und vor allem, wir hatten kein Plattenlabel. Ohne Label wird das keiner spielen, sagte
man uns. Immer wieder.
Bei der nächsten Produktion sahen wir zu, unsere Fehler nicht zu wiederholten. Der Großteil unserer Songs war diesmal radiotauglich, die Texte korrekt
überarbeitet und am Ende vertrieben wir unsere Musik tatsächlich unter einem Label. Die elektronischen Medien waren auf dem Vormarsch, so dass wir
weniger physische Tonträger absetzten, als vorher. Auch diesmal verteilten wir umfangreich unsere Produktion, machten Werbung und versuchten unser Glück
erneut. Aber auch hier: Fehlanzeige. Ich hatte zudem das Pech, dass unsere Band sich bereits zu diesem Zeitpunkt aufgelöst hatte, so dass ich keine Möglichkeit
bekam, das Material live vorzustellen. Kein Redakteur, kein Sender nahm überhaupt Notiz von uns. Wir begannen langsam zu zweifeln, ob wir das Richtige
taten. Waren wir anfangs naiv daran zu glauben, dass wir wahrscheinlich nicht zum rechten Zeitpunkt, den richtigen Menschen am richtigen Ort trafen, wie uns
manch einer erzählte, schlichen sich langsam Gedanken ein, die das System an sich hinterfragten. Ist es unsere Arbeit, unsere Kreativität und der Glaube daran,
der falsch läuft, oder sind es vielmehr die bestehenden Strukturen des Rundfunks, der langsam und stetig seinen Fokus verloren hat?
Ich habe recht oft daran gedacht, meinen Haupt - Gelderwerb aufzugeben, damit ich mich voll und ganz der Musik zuwenden kann. Noch immer in der
Annahme, dass ich mich dann mehr aufs Wesentliche konzentriere. Mehr Konzerte gebe, mehr Musik schreibe, um erhört zu werden. Ich war unsicher. Ich hatte
Familie und dieser Schritt war kein Garant, dass ich sie weiterhin ernähren kann. Ich sprach mit vielen mir bekannten Berufsmusikern über diese Gedanken. Sie
alle rieten mir, es nicht zu tun. Die Argumente waren vielfältig und überzeugten. Angefangen von der finanziellen Seite, weil immer weniger Veranstalter und
Auftrittsstätten gewillt oder fähig waren, wirklich Geld auszugeben, bis hin zu der fehlenden Unterstützung der Medien. Selbst mit direktem Kontakt in die
Medienbranche war es kaum möglich, erwähnt zu werden. Zweit- oder Drittjobs halfen ihnen, ein Überleben zu sichern. Unterricht geben, als Studiomusiker
arbeiten, oder eher unbeliebte Tingeljobs übernehmen. Heute bin ich froh, diesen Schritt nicht gewagt zu haben. Denn tatsächlich hat sich die Lage der meisten
Musiker nochmals zugespitzt. Man hört vermehrt, dass Angebote einiger Veranstalter nicht mal die Fahrtkosten abdecken würden, Clubs und
Veranstaltungsstätten sehen sich mittlerweile als Vermieter, die der Band gegen Entgeld Räumlichkeiten zur Verfügung stellen. Die anfallenden GEMA-Gebühren
für diese eigenen Konzerte, müsse man natürlich dann auch selbst tragen. Die wenigen Clubs, die von sich aus noch Veranstaltungsreihen durchführen und
durchaus Newcomern, bzw. unbekannten Bands eine Bühne geben, halten gern mal einen Slot mitten in der Nacht, so ab 2.00Uhr frei. Wenn der Großteil des
Publikums sich längst nach Hause aufgemacht hat. Weitere Einnahmequellen, die früher den Großteil ausmachten, reduzierten sich auf ein Minimum, weil kaum
mehr Cds oder Mp3s verkauft werden. Die enorme Ausweitung der Streamingdienste hat dafür gesorgt. Ganz vorn dabei, der Dienst Spotify, der wie viele
andere Anbieter auch, die Künstler mit lächerlichen Beträgen abspeist. Natürlich lassen sich diese Streamingplattformen leicht manipulieren. Anbieter für solche
Dienste gibt es zuhauf, um Klickzahlen und Abrufe zu kaufen, bzw. zu generieren. Ich bekomme immer wieder solche Angebote. Aber um wirklich etwas zu
bewegen, müsste man tiefer in die Tasche greifen. Das ist es mir nicht wert. Andere Label sind da weniger zimperlich.
Kaum überraschend, auch bei meinen nächsten Veröffentlichungen, vor allem Single-Produktionen, lief es nicht viel besser. Da wir unzählige positive Reaktionen
auf unsere Musikstücke erhielten, verstanden wir nicht, warum sich Sender so krampfhaft dem verweigern. Leider fehlen uns hier die nötigen Kontakte, um mal
direkt nachzufragen. Beschäftigt man sich dann näher mit den Strukturen des Rundfunks und beginnt ein wenig mit Recherche, dann stößt man mittlerweile auf
unzählige Erfahrungen und Diskussionen, die ähnliches berichten und viele Parallelen aufweisen. Selbst von etablierten deutschen Künstlern wird diese Kritik
immer lauter. Aber anscheinend möchten die Redaktionen sich nicht damit beschäftigen und reagieren erst gar nicht. Viele Vorwürfe bleiben ungehört.
Selbstkritik der Sendeanstalten bleibt aus.
Seit vielen Jahren fühlen sich Radiostationen, und da nehme ich mittlerweile die Öffentlich Rechtlichen nicht aus, anscheinend genötigt, sich als Formatradio
aufzustellen. Auf deutsch, Dudelfunk. Man versucht eine möglichst breite Zielgruppe anzusprechen, die dann mit Musik versorgt wird, die allen gefallen soll.
Errechnet mit komplizierten Analysetools, Statistiken und Beraterfirmen werden dann Playlists erstellt, die diesen breiten Musikgeschmack abdeckt. Hier geht es
nicht mehr um Kreativität oder Individualität, sondern nur noch, um das Halten seiner Zielgruppe mit Altbewährtem. Ab und uns zu wird dann noch ein neuer
Schlagerpopsong der deutschen jungen Garde, wie Silbermond, Johannes Örding, Max Giesinger oder Mark Forster eingestreut, um den Schein zu wahren, man
kümmere sich um deutsche Musik. Dass unsere Sender vor allem die Zielgruppe verlor, die jahrzehntelang die Charts bestimmt hat, die 13-25jährigen, das wird
geflissentlich unter den Tisch gekehrt. Diese holt sich mittlerweile ihre Musik ausschließlich aus dem Internet und hat gar kein Interesse mehr, das Radio
einzuschalten. Das zeigte sich besonders an den Statistiken. Beispielsweise eines Berliner Jugendsenders, die aufzeigte, dass absolut an der eigenen Zielgruppe
vorbei agiert wird. Das Durchschnittsalter der Hörer lag dort bei 30. Selbst wenn ein Sender seine bisherige Strategie verfolgt, nur das mutmaßlich Erfolgreichste
zu spielen, zeigen auch hier die Statistiken, dass es nicht immer funktioniert. Vor allem, weil die Sender absolut austauschbar geworden sind und wenig
Eigenständiges verfolgen. Der Radiosender rs2 aus Berlin zum Beispiel verlor im Jahr 2018 mehr als Hälfte seiner Hörerschaft. Nicht etwa weil der Sender
irgendetwas anderes gemacht hätte, la szuvor, sondern, weil die Hörerschaft 80 Prozent der Radiolanschaft einschalten kann und das selbe hört. Was dabei
besonders ärgerlich ist, ist, dass der Großteil der gespielten Songs nicht die deutsche Musikkultur abbildet. Die meisten deutschen Produktionen oder Künstler
fallen hier durch ein selbstbestimmtes Raster der Redaktionen und bekommen im Schnitt einen Anteil am Sendeplatz von durchschnittlich 3-4 Prozent. Völlig
schleierhaft. Mehr als 90 Prozent der gespielten Songs und das ist wahrscheinlich noch eine untertriebene Höhe, stammen von den drei großen Major-Label.
Also von denen, die bereits seit der Digitalisierung der Musik völlig versagen, viele Trends und Möglichkeiten verpasst haben und die sich mittlerweile auch an
den Einnahmen von Merchandise-Produkten und Konzertkarten der Künstler vergreifen, um ihre Verluste wett zu machen. Und ein weiterer Trend kommt hinzu,
dass sich mehr und mehr große Künstler von den Majors verabschieden.
Wo das hinführen wird, ist nicht klar. Wenn die Radiomacher dem schlechten Beispiel der einst so großen Musikindustrie folgt, kann man sich ausmalen, wie
unsere Radiobeschallung in der Zukunft aussehen wird. Sie wird überflüssig. Interessant dabei ist, dass sich die Agierenden seit Jahrzehnten dagegen wehren,
diese Kritik anzunehmen, oder Quoten einzuführen. Also eine Quote nationaler Produktionen. Warum das so ist und welchen Anteil die Majors dabei haben,
darüber wird viel spekuliert. Viele Redakteure wehren sich gegen den Vorwurf, dass ihre Playlists oder die Rotationen manipuliert, oder sagen wir es netter,
vorgegeben werden. Diese Quote sorgt im Übrigen in vielen anderen Ländern, wie zum Beispiel in Frankreich, Belgien oder Holland für ein viel
ausgeglichenderes Verhältnis der nationalen Musik zum Rest der gespielten Werke. Vielen Künstlern wird hier eine Plattform gegeben, die es bei uns so nicht
gibt. Und das spiegelt sich auch in der Vielfalt des Radioprogramms und dem Interesse der Hörer wider. In Österreich zum Beispiel ist diese Quote nicht mal
staatlich verordnet, wie in Frankreich, sondern freiwillig. Und auch das funktioniert. Schaut man zurück und denkt an einige eigenwillige und mutige Redakteure
und Moderatoren in den 60ern, 70ern und 80ern, die neuer und ungewohnter Musik offen gegenüber standen und Experimente wagten, dann sehnt man sich
manchmal dahin zurück. Natürlich waren damals die Öffentlich Rechtlichen Radiosender in ihren alten Strukturen gefangen und ließen wenig Experimente zu.
Aber es gab sie trotzdem. Es gab temporäre Radioshows, in denen die Mutigen und Ehrgeizigen saßen und sich über Konventionen und veraltete Denkweisen
hinwegsetzten. Vielleicht sogar gegen die Interessen ihrer Sender. Heute wäre das kaum vorstellbar. Vor allem erreichten diese die Jugend, die in diesen
Sendungen ihre musikalischen Vorbilder fand. Viele Genres und Bands hätte es ohne sie nicht gegeben. Das vermisse ich. Heutzutage ist alles kalkuliert. Es wird
kein Risiko mehr eingegangen und es werden keine Experimente mehr gemacht. Unbekannten Künstlern nimmt man somit eine Chance. Ein weiterer Fakt
kommt hinzu. Durch die existierenden Strukturen und der Dauerberieselung mit massentauglichen Mainstreamhits haben die Sender nicht nur einen ganzen
Teil ihrer Hörerschaft verloren, sondern sie zudem erzogen, einzelnen Formaten oder Sendungen gar nicht mehr folgen zu müssen. Diese schalten das Radio ein
und irgendwas läuft. Egal zu welcher Zeit. Eher für den Hintergrund geeignet, nicht als Ablenkung und Aufmerksamkeit sollte man dabei auch nicht erregen.
Meinen eigenen Kindern habe ich sehr früh beigebracht, dass es fantastische Musik in unterschiedlichen Genres mit großartigen Künstlern auch außerhalb des
Mainstreams gibt. Beide hören mittlerweile eine Bandbreite, die anderen Kindern aus dem Alltag fehlt. Und daran schließt sich die Frage an: Wie sollen neue
Generationen von Hörern einen Musikgeschmack für sich entdecken können, wenn fast überall belangloser Einheitsbrei läuft?
Obwohl ich meine Podcastfolge heute gar nicht so lang konzipieren wollte, stelle ich fest, dass ich bei diesem Thema sehr aufgeregt werde, weil mir unzählige
Beispiele und Aussagen von Bekannten und Unbekannten beim Schreiben zu diesem Thema einfallen. Zum Beispiel die Aussage eines ehemaligen
Redaktionsmitglieds, der erklärte, dass Einsendungen unabhängiger Label in seinem Sender aufgrund ihrer Herkunft gar nicht erst angeschaut werden und
schon mal als Türstopper dienen, die aktuelle Geschichte eines Verlegers, der seinen Redakteuren anordnete, dass man gefälligst die CD seines Neffen
bewerben muss, da dieser ja schließlich auch Musik mache, die Aussagen von verschiedenen Redakteuren, sie hätten gar keinen Einfluß mehr auf die Musik, die
gespielt werde, bis hin zum Fehlen eines Abbilds der existierenden deutschen Musiklandschaft, obwohl es Auftrag und Verpflichtung einer jeden Sendeanstalt
sein sollte. Auch mit eigenen Erfahrungen kann ich diesen Part füllen, wie zum Beispiel mit den Antworten zweier Redaktionen unterschiedlicher Sender, die
jeweils mit großem Bramborium ihre Wunschsendungen ankündigten. Schickt uns eure Musikwünsche! Ich hatte mir Musiktitel gewünscht, bekam von einer
Readaktion die Antwort, mein Wunsch könne leider nicht berücksichtigt werden, weil man nur Titel spiele, die sowieso im Programm laufen, und der zweite
Sender verwies mich auf das Internet. Möchte ich diesen Titel gern hören, könne ich ja auf Youtube danach suchen. Was für eine Farce. Mir fielen noch viele
andere Beispiele ein. Aber irgendwann wird auch das langweilig.
Ich habe Menschen in meiner Podcastfolge "Oh Corona" aufgerufen, die Künstler, die derzeit nicht in der Lage sind aufzutreten und deren
Haupteinnahmequelle Konzerte sind, zu unterstützen. Das ist sicherlich gut und wichtig und ich halte auch an diesem Wunsch fest. Es geschieht jedoch kaum.
Vor allem, weil vielen nicht bewußt ist, dass die meisten Künstler seit Ausbruch der Pandemie durch das Raster für Hilfen und staatliche Zuwendungen fallen.
Somit kommt bei ihnen wenig an, oder sie müssen alternativ Hartz4 beantragen. Oftmals sind es nur die Aufwendungen und laufenden Kosten, die beantragt
werden können. Diese sind bei den meisten aber im Schnitt recht gering. Stattdessen redet man lieber über unbezahlte Mieten von Großkonzernen,
Milliardenaufwendungen für gefährdete Betriebe und die endlose Langeweile, die sich bei vielen breitmacht, weil sie in Kurzarbeit oder der Quarantäne sind.
Wen ich bei meinen Überlegungen völlig ausgelassen hatte, waren die Rundfunkstationen dieses Landes. Normalerweise sollten sie die ersten sein, die in der
Verantwortung stehen, unsere Kulturlandschaft zu unterstützen und auch unbekannteren Künstlern eine Plattform geben. Aber hier läuft alles, wie eh und jeh.
Nichts am Programm, abgesehen von den Nachrichten, hat sich verändert. Man spricht ab und zu über die Lage der Künstler, der Bands und
Veranstaltungsstätten, fährt sein altes Programm aber stetig weiter. Der einzige Radiosender, von dem ich ab und an unterstützende Maßnahmen
mitbekomme, ist Radio Eins aus Berlin-Brandenburg. Aber auch hier sind die kleineren Indiependent-Künstler eher außen vor.
Aufgrund der anhaltenden Krise und der zunehmenden Bedrohung der Existenz vieler Künstler, habe ich vor zwei Wochen einen Offenen Brief verfaßt.
Verbreitet habe ich ihn in den sozialen Netzwerken, auf dem eMail-Wege und auf den Internetseiten einiger Rundfunkanstalten. Zumindest habe ich es versucht,
bis einiges gelöscht, oder erst gar nicht veröffentlicht wurde, da Einträge erst nach Durchsicht freigeschaltet werden. Rückmeldungen von offizieller Seite bekam
ich keine. Kritik an ihrem Verhalten ist wohl nicht erwünscht. Ich zitiere:
Offener Brief
Liebe Redakteurinnen, Redakteure und Verantwortliche der öffentlichen und privaten Radiostationen. Mein Name ist Frank Senftleben, Gründer des Labels „auxReturn
Records“, zudem Musiker, Komponist und Sänger der Band „The Maze“ aus Berlin.
Das Thema der weltweiten Covid-19-Pandemie beherrscht derzeit die Medien und betrifft unser aller Leben. Recht vorbildlich und umfangreich versorgen uns Radio- und
Fernsehstationen täglich mit neuen Nachrichten und Informationen. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Diskussionsrunden, Podcasts und regelmäßige Hinweise auf
Aktionen und Streams von meist etablierten Musikern, Bühnendarstellern und Autoren.
Oft genannt und in Diskussionen und Moderationen sehr bedauert, werden dabei der Rest der Künstler, Kunstschaffenden und Veranstaltungsstätten. Der Großteil also,
der unsere vielfältige Kultur gestaltet. Der Teil, der fast ausschließlich sein Geld mit öffentlichen Aufführungen verdient und keine zusätzlichen Einnahmen durch
umfangreiches Merchandising, Airplay, GEMA-Einnahmen oder dem Verkauf von Tonträgern generiert. Genau sie waren es, die es zuerst traf, ihre Arbeit einzuschränken
oder einzustellen. Wie immer in Krisen. Keine Konzerte, keine Lesungen, keine Aufführungen oder Auftrittsmöglichkeiten, somit keinerlei Einnahmen. Aller
Wahrscheinlichkeit nach werden auch sie es sein, die nach den geplanten schrittweisen Lockerungen, als Letzte ihre Möglichkeiten, öffentlich aufzutreten, wahrnehmen
dürfen. Verständlich und nachvollziehbar.
Bei allen Beileidsbekundungen: Schaut man sich die Playlists der letzten Wochen vieler Sender an, so stellt man fest, dass sich die Programme kaum verändert haben.
Noch immer stammt ein Großteil der gespielten Songs, bis auf wenige Ausnahmen, aus dem Bestand der drei großen Major-Label. Viele großartige Künstler und Bands,
die ihr Repertoire bei kleinen unabhängigen deutschen Label veröffentlicht haben, finden kaum statt. Also wie immer. Warum dies so ist, darüber kann man viel
spekulieren. An der fehlenden Vielfalt, der Qualität oder der kulturellen Struktur liegt es nicht. Denn in anderen Ländern, wie zum Beispiel in Frankreich, Holland,
Österreich oder Dänemark bekommen gerade die Independant Label eine weit größere Aufmerksamkeit, als bei uns. Und somit gibt es auch ein weit vielfältigeres und
unterhaltsameres Radioprogramm, als bei uns in Deutschland.
Wenn die Redaktionen unseres Landes es ernst und ehrlich meinen, ihrem Bedauern Ausdruck zu verleihen, dass es diese Künstler hart getroffen hat: Sie haben es in der
Hand, Unterstützung zu geben! Sie beeinflussen mit Ihren Airplays Hörgewohnheiten und erreichen viele Menschen. Tagtäglich erreichen Sie zahlreiche Bemusterungen in
digitaler und physischer Form. Der Großteil dieser Einsendungen wird leider nicht wahrgenommen. Sehr zum Leidwesen der Agierenden. Was ist falsch daran, als
Regionalradio auch regionale Acts temporär ins Programm zu nehmen? Was ist so aufwendig, nationalen Produktionen mehr Aufmerksamkeit und eine Plattform zu
geben. Und damit meine ich nicht die zwei bis drei Prozent der deutschen Künstler, die tatsächlich auch ohne Auftritte gut zurecht kommen. Viele Indie-Label leiden seit
Jahren unter dieser Situation, weil sich Gewohnheiten der Hörerschaft verändert haben. Es gibt kaum mehr großen Absatz für physikalische Tonträger. Streamingdienste
schütten nur Almosen aus, von denen keiner überleben kann. Selbst digitale Verkäufe gehen extrem zurück. Wie werden sie in Zukunft überleben, wenn ihnen der
Radiomarkt und somit eine gewisse Bandbreite nicht zugänglich ist?
Vielleicht ist jetzt genau der Zeitpunkt zu handeln und Prioritäten zu ändern! Nochmal: Sie haben es in der Hand! Unterstützen Sie nationale und regionale Künstler, Label
und Produktionen. Seien Sie Förderer unserer eigenen Kultur und seien Sie Plattform für neue großartige Musik. Die Top40 der 70er, 80er, 90er bis heute kennen wir in-
und auswendig...
Mit besten Grüßen aus Berlin
Frank Senftleben
Zitatende. Die Corona Krise trifft viele deutsche Künstler und kleine Label drastisch, weil es unsere Sendeanstalten versäumten, ihre Konzepte den
Entwicklungen am Musikmarkt anzupassen. Bereits jahrelang vorher wurden die Hilferufe und Appelle vieler Künstler nicht ernst genommen und beachtet.
Hörte man sie wirklich nicht, oder verschloß man nur die Augen? War es egal, weil man nur den Blick auf Altbewährtes, auf die englischen und US-
amerikanischen Charts hatte? Ist man mit den drei Major Label vielleicht doch mehr verbunden, als viele zugeben wollen? Oder verlor man einfach nur den Blick
für das Wesentliche, wie ich eingangs fragte? Ich weiß es nicht. Überzeugt mich vom Gegenteil! Ich würde mir wünschen, dass darüber Diskussionen geführt
werden. Ebenso, dass die Verantwortlichen verstehen, dass sie einen Großteil der Kunstschaffenen vernachlässigen, für den sie eigentlich mit verantwortlich
sind. Und vielleicht geben solche Kritiken wie meine, doch dem einen oder anderen einen Denkanstoss.
Ob mein Beitrag tatsächlich irgendwo Gehör findet, kann ich nicht abschätzen. Ich habe schon unzählige und ähnliche Aufrufe von unbekannten und bekannten
Künstlern gelesen und gehört, die aber anscheinend auch alle von den Radiomachern und Readaktionen ignoriert werden. Man fühlt sich nicht angesprochen.
Das ist äußerst schade, sehr traurig und unverantwortlich.
Mehr, als darüber zu sprechen, oder meine Botschaft zu verteilen, kann ich nicht. Wenn Ihr, liebe Hörer, meiner Meinung seid, so bitte ich Euch, teilt meinen
Beitrag bei den angesprochenen Adressaten. Im Text zu diesem Podcast, werde ich den Link zu meinem Offenen Brief auf Facebook veröffentlichen. Ich danke
für die Aufmerksamkeit und fürs Verteilen!