LARIFARI
Kapitel 10 Die Fremdspreache
Ich deutete es an. J. ist ein Freund von Anglizismen und der englischen Sprache. Nicht allein, dass viele dieser Worte in seinem normalen Sprachgebrauch
auftreten, nein, es sollte viel schlimmer kommen: Das Musical bzw. die Songs darin sollten in englischer Sprache entstehen. Um Gottes Willen, habe ich nicht
genug Probleme? Warum sollte ich mich nun mit dem Englischen herumschlagen?
Natürlich kann man es in diesen Zeiten der Globalisierung nicht von der Hand weisen, dass die englische Sprache in vielen Unternehmen Einzug gehalten hat.
Das ist bitter genug. Da ich in einer Bank arbeite, werde ich tagtäglich damit konfrontiert. Es gefällt mir nicht. Ich muss meinen Kunden verständliche
Erklärungen abliefern. Die Probleme beginnen bereits, wenn ich fachliche Begriffe nicht einmal mehr selbst übersetzen kann. Allein in Europa ist die
Muttersprache von mehr als 87 Millionen Menschen deutsch! Das sind mehr, als die Engländer, mit ca. 61 Millionen oder die Franzosen, mit 58 Millionen auf
diesem Kontinent vorweisen können. Warum das alles verkomplizieren? Unsere Sprache ist schön und ich kann alles in ihr vorfinden, um mich auszudrücken.
Warum tun wir nicht alles, um unsere Herkunft und unsere Geschichte zu bewahren? Nicht umsonst sind unsere französischen Nachbarn energischer, ihre
Sprache zu verteidigen.*
* Als Beispiel nenne ich hier die in Frankreich eingeführte gesetzliche Radioquote, die seit 1994 gilt. Radiostationen wurden verpflichtet 40 Prozent ihrer
Programme, während des Tages, französischen Künstlern zu widmen. Davon muss die Hälfte sogar aus Neuheiten bestehen. Ein sehr guter Ansatz, um nicht nur
die Sprache, sondern auch die nationalen Künstler und Neueinsteiger zu fördern, wie ich finde.
Für mich war diese soeben verfasste Aussage ein langer Prozess des Begreifens, was ich mit meiner Sprache mitbekommen habe. Weitestgehend kann ich mich
als 70er- und 80er-Jahre-geschädigt ansehen. In den Hitparaden dieser Republik wurde man überschwemmt mit englischsprachiger Musik. Und ich fand es gut.
Ob nun Laid Back über den brotbackenden Bäcker sang oder sinnlose Aneinanderreihungen von Phrasen dargeboten wurden, wie so oft im Hip Hop oder
Reggae. Für mich stand fest, in der Zukunft englisch zu singen. Hierbei blieben bedauerlicherweise die Inhalte auf der Strecke, da meine Kenntnisse dieser
Sprache höchst begrenzt sind. Ich benötigte immer Hilfe. Sei es nun der Umstand Texte zu erhalten, oder meine Interpretation im Studio. Ich habe mich damit
schwer getan. Seltsamerweise. Ein Vorteil, den ich regelmäßig vorschob, war der, dass ich meine Stimme nur als Instrument betrachtete. Und wer meine Texte
nicht versteht, der solle sich allein an der Musik erfreuen. Erst in den den letzten Jahren habe ich verstanden, dass dies ein Fehler ist.
Nach der Produktion meiner ersten CD, zudem mit fehlerhaften englischen Texten versehen, sah ich mich bereits mit diesem Thema konfrontiert. Ich
verschickte meine Tonträger an diverse Plattenfirmen und wunderte mich, warum ich keinen Zuspruch bekam. Ein längeres Telefonat mit dem Sänger und
Plattenfirmeninhaber Toni Krahl von der DDR-Band „City“, dass ich führen durfte, brachte mich zum Grübeln. Er erklärte mir, dass es besser wäre, als Deutscher
Musik in eigener Sprache zu vertonen. Zum einen sollte man zunächst die Menschen in seinem eigenen Umkreis ansprechen können und zum anderen haben
deutsche Texte viel mehr Potenzial und Chancen für eine unbekannte Band, wahrgenommen zu werden. Er hatte Recht. Schluss – aus. Zu jener Zeit hatte ich
den Inhalt seiner Worte verdrängt. Immer mit einem kleinen Blick auf meine bevorstehende „Karriere“. Warum? So viele Bands und Künstler sangen englisch.
Sicher, es gab die Neue Deutsche Welle die mich ebenso beeinflusste, jedoch hatte ich das Gefühl, wenn ich deutsch singen würde, würde man mich in einen
Topf mit all den Schlagerfuzzis werfen, wie Pur, Wolfgang Petry, oder noch Schlimmeren. Ein Horror! In diesem Zusammenhang habe ich selten daran gedacht,
dass ich seit mehr als 20 Jahren ein großer Fan von Die Ärzte, Foyer des Art und Joachim Witt bin. Die Langspielplatte, die ich im Jahre 2004 begann
aufzunehmen, wird die letzte sein, in der ich diese „englische Bürde“ tragen werde.
Ist das nicht verrückt? In den Firmen unseres Landes findet man den Fensterputzer als Vision Clearance Engineer, den Hausmeister als Facility Manager, den
Müllmann als Waste Removal Engineer, den Verkäufer als Sales Assistant oder ganz kurios die Putzfrau als Environment Improvement Technician, die Sekretärin
als Head of Verbal Communications, den Kundenberater am Telefon als Call Center Agent oder den Tankwart als Petroleum Transfer Engineer und ich denke,
dass ich noch Seiten mit diesen zum Teil skurrilen und kaum verständlichen Berufsbezeichnungen füllen könnte. Aber sind diese Berufe nun durch ihre
englische Bezeichnung besser und ertragreicher geworden? Sicher nicht! Ein Musical Director kann im Übrigen nicht mehr aufweisen, als ein musikalischer
Leiter. Dass viele englische Worte in unserem Sprachgebrauch auftreten, daran hat man sich zum Teil gewöhnt. Ein Toaster, ein Computer, ein Clown oder die
Couch sind für uns völlig normal und verständlich. Anders würde es aussehen, wenn wir ein Bühnenstück inszenieren, dass nur ein Teil unserer Zuschauer
verstehen würde. Ich führte viele Gespräche mit J., die dieses Thema behandelten. Er wollte es. Unbedingt. Seine ersten „Songtexte“ waren ausschließlich
englisch. Was sollte das? Ich konnte seine Argumente einfach nicht nachvollziehen. „Wir wollen doch das Stück irgendwann international herausbringen...“ Ja,
und? Dazu muss es doch erst geschrieben sein! Und nicht nur das! Es sollte zunächst in unseren Landen aufgeführt werden! Da ich deutsch denke, kann ich nur
in meiner Sprache Empfindungen, Botschaften und persönliche Stimmungen ausdrücken. Ich hatte diesmal wirklich Mühe entsprechende Überzeugungsarbeit
zu leisten, bis wir endlich davon abkamen.