LARIFARI
Kapitel 14 Kommunikation
Man muss kommunizieren, wenn man sich einer gemeinsamen Aufgabe stellt und diese zu einem passablen Ergebnis führen möchte. Teamarbeit und der rege
Austausch von Informationen gehören dazu. Das ist jedem klar. Nur sollte der Normalfall so aussehen, dass man kommunikativ wird, wenn es etwas zu
berichten gibt. Das jedoch kam anfangs selten vor. J. kommuniziert gern und intensiv. Ich hoffe nur, dass uns dieser Umstand nicht eines Tages zum Verhängnis
wird. Sein Hang zur Übertreibung, seinen planmäßigen Bestrebungen und auch eine gewisse Art von Wichtigtuerei bremst durchaus die Motivation der
Mitstreiter. Vor allem, wenn man bedenkt, dass jeder an diesem Projekt freiwillig, in seiner Freizeit und ohne jeden Gegenwert mitarbeitet.
Leider kam J.`s rein persönliche Kommunikation bei manchem Mitstreiter zu kurz und beschränkte sich auf ein „Hallo, wie geht’s dir? Was machst du gerade?“.
Schnell und strebsam steuerte er bei solchen Gesprächen auf die Arbeitsebene. Ich weiß, er möchte anspornen und sich austauschen, wie unser Musical
vorankommt, andererseits aber auch kontrollieren. Gern mindestens zwei Mal in der Woche. Dabei übersieht er, dass es von Zeit zu Zeit nichts auszutauschen
gibt. Damit drängte er einige Mitstreiter regelrecht an die Wand, so dass es teilweise aufdringlich und lästig wirkte. Er möchte gern berichten, welche Erfolge er
vorzuweisen hatte und welche seiner Planungen sich in welchem Stadium befinden. Aber oft sind es, zumindest in diesem Arbeitsstadium Nebensächlichkeiten.
Die Kollegen fühlen sich damit ihrer Zeit beraubt.
In den letzten Monaten habe ich von mehreren Seiten gehört, dass J.´s Telefonanrufe absichtlich ignoriert werden. Ich kann nachvollziehen, was er mit seiner
Kommunikation erreichen möchte. Aber ich glaube, wenn er die Gemeinschaft zu oft mit Nichtigkeiten überschüttet, oder zuviel in kürzester Zeit erwartet, dann
ist es nicht hilfreich, um nicht zu sagen, fast schon gefährlich, dass jemand aus unserer Runde aus diesem Grunde aussteigt. Ich war ehrlich und sagte es ihm.
Ich konnte damit umgehen und nahm durchaus viele Gespräche nicht mehr so ernst, wie zu Beginn unserer gemeinsamen Arbeit. Bei uns beiden ist das
mittlerweile sowieso anders. Eine eher freundschaftliche Ebene hat sich mit der Zeit entwickelt. Es gibt sogar Tage, an denen wir gar nicht über das Projekt
sprechen. Ich kommuniziere selbst ganz gern. Bespreche durchaus unwichtige Dinge, die mich dann im Grunde aber nicht mehr weiter beschäftigen. Und J. ist
ganz gern ein Zuhörer.
Um J. gewisse Grenzen aufzuzeigen und ich mich nicht regelmäßig wiederholen wollte, habe ich arbeitsrelevante Situationen und Diskussionen unterdrücken
können, indem ich ihn mit seinen eigenen Methoden konfrontierte. Meinen Weg, meine Arbeitsweise und meine Ansprüche an unser Projekt habe ich ihm (und
allen weiteren Beteiligten) in einer Art schriftlichem Leitfaden zukommen lassen. Das Dokument hieß: „Die musikalischen Parts von „...“ (Anm. hier steht der
Name des Musicals), Organisation und Anmerkungen“ mit folgendem Inhalt:
Mit diesem Dokument möchte ich Euch einen kleinen Einblick in die geplante musikalische Aufarbeitung rund um das Thema „...“ (Anm. Name des Musicals) geben. Wir
werden uns zwar gegenseitig in unserer Arbeit beobachten und teilweise abhängig voneinander zusammenarbeiten, aber die Mitglieder der einzelnen Ressourcen, mit
Ihren Hauptverantwortlichen, arbeiten vorrangig selbständig in ihren Gebieten. Jeder wird seine persönliche Arbeitsweise in diesem Prozess entwickeln und ausbauen.
Deshalb finde ich es wichtig, Euch auf diesem Wege einige Hintergründe meiner eigenen Arbeit aufzuzeigen.
Der Hauptteil der musikalischen Entwicklungen, mit mir in der Rolle des verantwortlichen Music- & Composing Directors (hört, hört...), wird in meinem Studio in Berlin
entstehen. Nur einige wenige von Euch kennen es. Mehr Informationen dazu findet Ihr auf meiner Website.
DER ARBEITSPROZESS: Part 1. Ideen, Kreativphase: Alle musikalischen Themen werden in einem „Gerüstsystem“ erstellt. Das heißt nichts anderes, als es sehr viele Ideen
gibt und geben wird, die erstmals als Klavierarrangement angelegt werden. Meist als Melodielinie, mit Hintergrund. Auf diesem bauen sich dann nach und nach die
Instrumente, Rhythmen, Nebenlinien und die eigentlichen Arrangements auf. Wer bereits die sogenannten „Schnipsel“ kennt, wird verstehen, was ich damit meine.
Es gibt einige Ideen, die instrumental weiter ausgebaut wurden. Diese sind aber im Grunde immer noch nichts weiter als Grundideen, die ausgebaut werden müssen.
Ebenso gibt es einige Songs von J., die dem selben Prozedere unterliegen. Diese sind z.T. schon vor Jahren entwickelt worden und werden zu späterer Zeit nochmals
ausgearbeitet.
Alle vorliegenden Ideen sollen in dieser Phase vor allen Dingen dazu dienen den kreativen Prozess der Autoren zu unterstützen, der sich auf den Abschnitt des Musicals
und der Hörspiel-CD beziehen wird. Sozusagen als emotionale, audiophile Umrahmung.
Die genannten Ideen unterliegen im Vorfeld keiner speziellen Zuordnung. Ob sich daraus ein Song, eine Hintergrundmusik, ein „Core-Track“ oder nur ein Thema entwickeln
wird bleibt vorerst offen. Neue Ideen werden immer wieder dazukommen und zum Teil eingestellt.
Part 2. Die Entstehung: An diesem Punkt bin ich bereits auf die Autoren angewiesen. Wie ich in meinem „Sammelaufruf für Hintergrundgeräusche“ im Forum beschrieb, ist
es für mich unsagbar wichtig, dass genauere Beschreibungen jeglicher Situationen und „Nebensächlichkeiten“ vorliegen. In der Geschichte / im Musical-Script (Libretto),
sowie in der Ausarbeitung der Hörspielfassung, brauche ich Zusatz-Informationen zu Stimmungen, Randerscheinungen (auch bei reiner Dialogform) und eine mögliche
Dokumentation der Umgebung. Die Herkunft der Mitwirkenden sollte durchaus eine gewisse Rolle spielen. Daher wäre es für mich hilfreich von diesen Personen einen Teil
ihres Lebenslaufes zu kennen. Dramaturgisch auf jeden Fall sinnvoll, um sich bei Solo-Stücken nicht immer an der Haupthandlung und dem Hauptthema orientieren zu
müssen.
Weiterhin bin ich für jeden Ansatz einer Songform dankbar. Sobald textliche Elemente vorhanden sind, an denen man musikalische Strukturen ausrichten kann, wird es
für mich leichter. Aus meiner Erfahrung heraus ist es umgekehrt erheblich schwerer, einen Text in ein vorgegebenes Musik-Arrangement einzubringen, gerade dann, wenn
ein bestimmtes Thema vorgegeben wird und durchaus viele Informationen einfließen müssen. Dieser Part wird sehr stark von den gegenseitigen Abhängigkeiten
beeinflusst werden. Deshalb sehe ich hier den Schwerpunkt meiner Hauptaufgaben.
In diesem Abschnitt wird das definitive musikalische Grundgerüst entstehen. Das heißt, dass ich nicht nur die Hilfe der Autoren, sondern Aller brauchen werde. Feedbacks
von Euch und zusätzlicher „Testhörer“, die jeder von uns in seinem Bekannten- und Verwandschaftskreis hat, müssen entscheiden, ob es ein Musikstück (vorwiegend
Themen und Songs) geschafft hat und seinen angedachten Platz erhält. Zu einigen dieser Songs wird es durchaus verschiedene Versionen geben, unter denen dann der
Beste ausgewählt wird.
Part 3. Ausarbeitung: Sobald es eines dieser Stücke „geschafft“ hat, wird das endgültige Arrangement erarbeitet. Da ich entschieden habe ein „virtuelles Orchester“
zusammenzustellen, muss in diesem Zusammenhang auf die Instrumentierung geachtet werden. (Ein durchschnittliches Musical-Orchester hat meist zwischen 15 bis 30
Musiker). Die besondere Aufgabe hierbei wird sein, ein annähernd authentisches Abbild der Musik zu schaffen, wie sie am Ende live gespielt werden kann. Da ich sehr viele
Musiker kenne, werde ich versuchen, das ein oder andere virtuelle Instrument bzw. einen Synthesizer oder ein Sample durch ein akustisches Instrument zu ersetzen.
Einzelnen Figuren der Geschichte wird ein musikalisches Thema zugeordnet. Ob dieses zu einem Song gehört oder eigenständig besteht, spielt dabei keine Rolle. Diese
Themen werden in dieser Phase nochmals aufgegriffen und variiert, damit sie den verschiedenen Situationen angepasst werden können (sogenannte Reprisen).
Weiterhin ist, wie Ihr ja wißt, eine sogenannte „Core-Track“- CD geplant. Auf dieser CD werden die stärksten Songs unseres Musicals in einer Rock- / Popvariante vertreten
sein. Im Laufe der Arbeit an den einzelnen Titeln zum Musical wird dann von uns allen zu entscheiden sein, welche Stücke favorisiert werden. Die Ausarbeitung dieser Titel
werden dem laufendem Prozess in diesem Part zugeordnet. Die ersten sogenannten Rough-Mixes entstehen. Somit hat man die Möglichkeit, die Wirkung eines jeden
Stückes nochmals zu analysieren und zu testen.
Part 4. virtuelles Musical: ...ist ein Prozess, der nebenher laufen wird. Sequenzen / Parts bzw. ganze Handlungsstränge und Szenen des Bühnenstückes werden von mir in
einer Art Hörspiel dokumentiert. Um eine Einschätzung geben zu können, ob Dialoge, musikalische Untermalungen, der Ablauf und die Songs in der Gesamtheit
funktionieren, schlüssig sind und harmonieren, wird dies wohl der beste Weg sein. Nicht zu verachten ist an dieser Stelle natürlich die Möglichkeit, eine bessere
Zeitkontrolle geben zu können und wiederum Testkandidaten zum „Zwangshören“ zu verpflichten. (über 2,5 Std. sollte das Musical nicht gehen – beim reinen Hörspiel
wird dies ein anderes Thema)
Part 5. Sounds, Geräusche: Es wird eine Datenbank erstellt, die eine Sammlung von Sounds, Geräuschen und athmosphärischen Klängen beinhaltet. Im Forum gibt es, wie
schon beschrieben, einen Beitrag, der sich auf dieses Thema bezieht.
Diese Datenbank mit den wichtigsten Sounds wird in unserer Arbeitsplattform ersichtlich und abfragbar sein. Darüber hinaus wird ein Soundarchiv in meinem Studio
entstehen, welches katalogisiert und kategorisiert wird. Hauptsächlich bestehend aus bereits vorhandenen Sample-Librarys. Die einzelnen Kategorien werden als Text-
Dokument zur Verfügung gestellt und ausgewählte Sounds daraus kommen ebenfalls in E-GroupWare. Dies soll ein Ansatzpunkt sein, um mit der Zeit fehlende Elemente
ergänzen zu können.
Part 6. bereit, wenn sie es sind...: Diesen Part kann man zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar definieren, da wir nicht wissen können, wie sich unser Projekt entwickeln
wird. Ein Punkt steht aber schon fest: Wenn alle musikalischen Themen, wie beschrieben feststehen und aufgearbeitet sind, werden wir einen Gesamt-Mix des Musicals
erstellen. Dieser wird vorrangig zu Werbe- / und Akquisezwecken eingesetzt und enthält das Gesamtwerk. Weiterhin wird es einen (vielleicht vorläufigen) Gesamt-Mix der
„Core-Track“- CD geben.
Alles weitere hängt dann gegebenenfalls von einem Sponsoring ab. Deshalb gibt es hier ausschließlich eine Aufzählung von angedachten Arbeiten, die zu solch einem
Zeitpunkt eine Rolle spielen können. Dazu zählen:
•
Erstellung einer Partitur / und oder entsprechender Midifiles
•
High-End Mix und Mastering der „Core-Track CD“ unter Berücksichtigung evtl. neuer Gesangsaufnahmen mit bezahlten Profis / oder Final-Mix und Mastering in
Eigenregie
•
professionelle Erstellung der Hörspiel-CD / oder Eigenerstellung des Hörspiels
•
Live-Einspielung der „Musical-CD“ / oder Final-Mix und Mastering in Eigenregie
•
evtl. Erstellung einer Halbplaybackvariante des Musicals
Einige Punkte sind vorläufig und im wahrsten Sinne „Zukunftsmusik“, andere wiederum umsetzbar. Im Grundsatz werden diese Arbeiten in der Abhängigkeit der jeweiligen
Situation angepasst und durchgeführt.
In unserer Arbeitsumgebung gab es zusätzlich noch eine Unmenge an Ordnern und Unterordnern. Viele Organisationsschritte, Strukturen und Beschriftungen dachte sich
J. im Vorfeld aus. Viel zu kompliziert und wie es seine Art war, teilweise mit ausgedachten Begriffen. Mir blieb nichts anderes übrig, als diese und ihre Verwendung bzw. die
Zuordnung einzelner Ablageorte einfach weiterzugeben und zu deklarieren. Selbst ich hatte meine Mühe J.´s Konstruktionen zu durchschauen und zu verstehen. Der
weitere Text in diesem Dokument beschäftigte sich ausschließlich damit. Alles hier aufzulisten wäre für Sie, liebe Leser im höchsten Grade langweilig. Daher lasse ich einen
ganzen Teil aus. Am Ende meines Schreibens fanden sich dann noch folgende Schlußzeilen:
Anmerkungen: Ich stehe jederzeit gern zur Verfügung, wenn es etwas zu besprechen gibt. Ich arbeite z.Z. In jeder geraden Woche und bin dann eher am Abend, gegen
19.00 Uhr zu erreichen. In den ungeraden Wochen bin ich tagsüber unter meiner privaten oder mobilen Telefonnummer erreichbar.
Neuen Ideen gegenüber bin ich immer aufgeschlossen. Wenn jemand von Euch eine Vorstellung hat, wie sich ein Song / Sound / Hintergrund anhören könnte, sagt mir
einfach Bescheid. Wenn es sogar musikalische Referenzen für Eure Vorstellungen gibt, wie z.B. MP3´s, schickt sie mir einfach per Mail.
Auf eine wunderbare Zusammenarbeit! Viele Grüße Frank
All das waren tatsächlich meine Ambitionen. Ob es nun einen Mehrwert brachte, diese schriftlich nieder zu schreiben, bezweifel ich. Kein anderer hatte bis
dahin, wie auch zu späterer Zeit, seine Vorhaben in dieser Form ausgearbeitet. Ausser J.. Ich hatte mir mit diesem Dokument die größte Mühe gegeben und ging
damit den differenzierten Ansichtsweisen und Diskussionen vorerst aus dem Weg. Das lag natürlich daran, dass J. seine Definitionen so manches Mal leicht
veränderte und oft die gleichen Punkte zur Sprache kamen. Papier ist in erster Linie geduldig und er hatte etwas für seine Unterlagen. Ich glaube bis heute, dass
er dieses Dokument als einziger gelesen hatte. Wie erwartet, war dieser Schritt ein Teilerfolg. Ich habe mittlerweile gelernt, wie man durchaus weg- oder etwas
überhört. Kleine Nebensächlichkeiten und erreichte Mini - Zwischenschritte wurden so manches Mal als ganz große „Meilensteine“ und „Gute Nachrichten“
angekündigt. Wie sagt man so schön: „Aus der Mücke wird ein Elefant gemacht“. Da dringt so manches Mal der Verkäufer in ihm durch. Ich höre mir dann diese
Neuigkeiten an, hake hier und da nach, sage „ja“ und „Amen“ und speichere diese Informationen in den hintersten grauen Zellen ab. Ich glaube kaum, dass ich
so Manches je wieder hervorholen muss.
Um das Projekt nicht zu gefährden und meine persönlich angeworbenen Mitstreiter bzw. langjährige Freunde nicht zu verlieren, habe ich später angefangen, J.
davon zu überzeugen, die Kommunikation mit ihnen einzuschränken. Ich denke, dass er über kurz oder lang, nach den bisherigen Reaktionen der Leute, selbst
darauf gekommen wäre. Seitdem diese „Funkstille“ eingehalten wurde, bekomme ich hin und wieder sogar die Frage gestellt, was J. so macht.