LARIFARI
Kapitel 15 Bastelanleitung zum Musical
Unverständliches Gemurmel im Theatersaal. Die Zuschauer sitzen erwartungsvoll auf ihren Plätzen. Der Bühnenvorhang verbirgt noch den Blick auf die
Spielfläche. Leise vereinzelte Klänge beginnen sich aus dem Orchestergraben zu erheben. Die Ouvertüre beginnt. Das Licht im Zuschauerraum wird gedimmt.
Ein hektisches Flackern zieht den Blick der Besucher auf die Bühne, vor dem sich langsam der Vorhang erhebt. Projektionen und Bilder erscheinen, die Musik
erklingt und die ersten Darsteller betreten die Bühne...
So, oder in ähnlicher Weise könnte unser Theaterstück beginnen. Wie sieht jedoch ein Entstehungsprozess eines Musicals oder Bühnenstückes aus? Ganz
ehrlich? Ich weiß es nicht! Man nehme eine althergebrachte Geschichte, einen fähigen Autor, setze ihn mit einem durchschnittlich begabten Komponisten
zusammen und warte einige Monate, bis das kreative Potenzial aufquillt. Damit haben Sie einen wunderbaren Grundstock für ein Musical. Würze, je nach
Geschmacksrichtung, Theater, je nach kommerzieller Ansatzweise, Merchandising, ein fähiger Regisseur, einen gut situierten Produzenten, ein paar
sangesfreudige Mitarbeiter, Werbung und wenn Sie es ansehnlich garnieren, werden Sie Ihre wahre Freude an dem Endprodukt haben und können es genießen.
Natürlich sollten Sie ganz nebenbei einen guten finanziellen Hintergrund aufweisen, damit die ganze Show nicht schon nach den ersten Wochen
zusammenfällt.....
Ich habe mir in den letzten Jahren darüber den Kopf zerbrochen. Im übertragenden Sinne natürlich. Den einzigen Ansatz, den ich hatte, waren vorhandene
Musicals und Spielfilme. Zumindest musikalisch. Davon wollte ich lernen und begreifen, was es heißt, ein Theaterstück zu schreiben. Aber jetzt, nach 3 Jahren,
haben wir, was die Story betrifft, kaum Fortschritte gemacht. Wir hatten nicht einmal Namen für all unsere Charaktere. Allein diesen Umstand konnten wir im
Laufe eines Nachmittags ändern. Wir machten uns im Internet auf die Suche, um die Anonymität unserer Hauptdarsteller aufzuheben und wurden fündig.
Vielleicht hätte man ein Thema aus der Literatur umsetzen sollen! In der letzten Zeit versuche ich die Mannschaft zu motivieren, auf die emotionale und
zwischenmenschliche Ebene einzugehen, die unsere Geschichte erzählen sollte. Endlich eine „echte“ Story zu schreiben. Dieser Weg stellt sich aber durchaus
steinig dar. Lloyd Webber sagte einmal in einem Interview, dass der Zeitraum zur Entstehung seiner Musicals von der ersten Idee bis zur Premiere im Schnitt
etwa zwei Jahren betrage. Demnach hinken wir unserem Vorhaben gewaltig hinterher.... Gut, ich möchte hier natürlich keinen Vergleich zu irgendwelchen
Musical-Größen ziehen, obwohl ich diesen Fakt recht aufschlussreich finde. Auf der anderen Seite muss ein Herr Webber kommerziell erfolgreich sein, denn die
Produktionskosten von durchaus bis zu 20 Millionen Dollar müssen erst einmal eingespielt werden.
J. hat Vorstellungen, die überdimensioniert sind und die ich nicht nachvollziehen kann. Ich beschrieb in einer vorherigen Passage unsere „Red Line“ oder „Aorta“.
Diese sollte, nach unseren Vorstellungen, ein Grundgerüst der Story darstellen. Aber allein in der Strukturierung der Themenbereiche gingen unsere Meinungen
auseinander. Für mich wäre solch ein Schriftstück die Gesamtheit aller Umstände der Geschichte, aller Handlungen, sowie eine Beschreibung der Szenarien. Für
J. ist es eine Aneinanderreihung von äußerlichen Umständen, von Hintergrundinformationen, von Farben, Formen und der Festlegung von Charakteren, bzw.
vielen anderen Nebensächlichkeiten. Ich jedoch brauche Inhalte. Echte Inhalte. Wer mit wem, wer gegen wen, Krankheiten, Intrigen, Dialoge – echte
Kommunikation. Etwas, woraus man Songtexte und Stimmungen erstellen kann. Ich benötige keine Informationen von Ereignissen, die lange vor dem
Zeitrahmen unseres Musicals spielen und nur Zusatzinformationen darstellen. Selbst wenn sie an anderer Stelle im Theaterstück eine gewisse Bedeutung oder
Aufmerksamkeit bekommen sollten. Ich möchte gern das Hier und das Jetzt!
Das genau war ein Vorwurf, den mir J. in seiner „Core Track-Mail“ schrieb. Ich bin jedoch als Komponist von einem Autoren abhängig. Es macht wenig Sinn, ein
Musikstück vollständig zu komponieren und zu arrangieren, wenn ich gar nicht weiß, worauf es sich bezieht. Vor allem, wenn man bedenkt, dass es sich um ein
homogenes Werk mit einer fortführenden Geschichte handeln soll. Und nicht um eine Nummernshow. J. kann solch eine Arbeitsweise nicht verstehen, da er
keine Erfahrungen damit hat. Das versuchte ich ihm klar zu machen. Irgendwann gelang es mir. Aber dieser Weg hat mich Nerven gekostet. Auf der anderen
Seite waren natürlich genug musikalische Ideen vorhanden, die nur eben nicht ausgearbeitet waren. Anders sieht es aus, wenn ich Pop-Musik schreibe. Da
kommt es vor, dass einzelne Songs fertig produziert sind und nur auf einen Text warten. Aber das hier ist keine x-beliebige Produktion mit 3-Minuten-Pop- oder
Rockstückchen, wo ich mir ein paar Songs zusammenstelle, um eine Bandbreite meines Könnens aufzeigen zu können.