LARIFARI
Kapitel 20 Vom Rockmusical zur Klassik
Oh je! Was habe ich nur getan? J.s Ehrgeiz, ein Musical zu schreiben, hatte einen Ursprung. Nein, ich meine nicht seine Pop-Stückchen aus den guten alten
80ern. Ein ganz anderes Ereignis ging unserem Vorhaben voraus. J. besuchte „Buddy“ - ein Musical über Buddy Holly´s Leben. Ihm gefiel es. Begeistert und
fasziniert sah er darin die Idee geboren, ein eigenes Stück, um seinen erdachten Helden zu erschaffen. Die Musik der 50er und 60er Jahre mag er. So etwas
wollte er. Die Leute sollen von ihren Zuschauersesseln aufspringen und am liebsten bei diesem Theaterstück mittanzen und -singen.
Dagegen hätte ich nichts. Das Problem, diese Herangehensweise in Betracht zu ziehen, liegt an der Vorlage. Wir haben keinen Buddy Holly mit Brille und Gitarre.
Es gibt in unserer Sammlung von Ideen und Vorstellungen keine mitreißenden und bekannten Songs, die jeder kennt. Geschweige denn, eine Zeitlinie, die
Parallelen aufweist. Unsere Erzählung ist weit von dem entfernt, was Buddy Hollys Lebensgeschichte ausmacht. Und genau hier bricht der Ansatz zusammen.
Die Geschichte, an der wir schreiben, ist düster, nicht leicht verdaulich, behangen von Schwermut und Hoffnungslosigkeit und ein Stoff, der zum Nachdenken
anregen soll. Zudem spielen alle erdachten Ereignisse in der Zukunft. Wie soll ich dabei die Menschen zum Tanzen animieren? Das wäre so, als ob ich im Musical
„Jesus Christ Superstar“ einen lustig bemalten Clown als Hauptcharakter auf die Bühne stellen würde, der Späße macht. Wobei...ein Clown am Kreuz.... Nee, es
geht nicht.
Wir haben darüber nie ernsthaft diskutiert. Seine Vorstellungen teilte mir J. anfangs in Grundzügen mit. Aber auch ich entwickelte meine. Und die lagen weit
davon entfernt. Ich bin, was Musicals betrifft, ein Freund klassischer Instrumente. Durchaus gemischt mit zeitgemäßen Klängen. Und was läge näher, als diese
einzusetzen? Rockmusik mag ich. Natürlich! Demzufolge werde ich Rockelemente in unserem Musical nicht außen vor lassen, aber ein Orchester wird bei mir an
erster Stelle stehen.
Ein weiterer Punkt war eine Idee J.´s, die ich nicht teilen konnte. Eine Rockband sollte direkt auf der Bühne stehen. Nicht nur allein der Fakt, dass sich Orchester
und Band an völlig unterschiedlichen Orten befinden sollten, nein, Musiker aus der Band sollten aktiv in das Schauspiel integriert werden. Als eine Art von
Erzähler. Nein! Auch das wollte ich nicht. Es gab so viele Details und Fakten, die dagegen sprachen so etwas zu planen, dass ich indirekt, aber aktiv dagegen
vorging. Wenn ich allein an den Platz denke, der mir auf einer mutmaßlich kleinen Bühne nachher fehlt, ganz zu schweigen von den akustischen
Herausforderungen, die eine Rockband mit sich bringt. Da bleibe ich stur. Ich denke oft in meiner Arbeit, was eine Bühne mir bieten kann und was nicht. J. ist da
anderer Auffassung. Er meint ja, wir schreiben unser Manuskript, geben es aus der Hand, unterschreiben die Verträge und würden uns um alles andere nicht
mehr kümmern. Soll sich doch ein anderer mit unseren Ideen herumschlagen. An diesem Punkt solle dann nur noch, wenn möglich ein Scheck regelmäßig in
den Briefkasten wandern. Ich beschrieb diese Vorstellung ansatzweise in einem anderen Kapitel. Hier treffen in unseren gemeinsamen Gesprächen zwei Welten
aufeinander. Wenn man J. so hört, hat man das Gefühl, dass es vorrangig um eine Sache, ein Produkt geht, welches man herstellt und verkauft. Im Ansatz mag
hier etwas Wahres dran sein, aber allein der Aspekt, dass dieses Stück etwas sehr persönliches ist, müsste ihm doch zu Denken geben?! Aber ich glaube, da zieht
er zu viele Parallelen zu seinem Beruf. Verkäufer bleibt Verkäufer. Wahrscheinlich wird am Ende unserer Arbeiten ein Moment kommen, an dem er sich meine
Worte ins Gedächtnis ruft.
Mit der Zeit habe ich angefangen, die ersten Titel ansatzweise zu arrangieren. Streicher, Bläser, Oboen und andere klassische Instrumente schummelte ich mehr
in den Vordergrund. Nur ein einziges Mal beschwerte sich J., dass ein vorgestelltes Stück zu klassisch wäre. Ich meine, dass ich gar keine andere Wahl habe. Ein
Musical sollte klassische Elemente beinhalten. Dass ich keine Oper schreibe, weiß ich. Dass ich kaum eine Ahnung davon habe, wie man ein Orchester in das
richtige Notenbild bringt, das weiß ich ebenso. Gleichwohl habe ich das Gefühl, dass ich es schaffen werde, gute Musik zu schreiben. Auch ohne Rockballaden.
Und mit der Zeit wird sich J. allmählich daran gewöhnen. Selbst wenn es von ihm kaum so geplant war.