LARIFARI
Kapitel 26 Das Libretto
In den Folgetagen zweifelte ich, ob der neue Weg, das Theaterstück selbst zu schreiben, diesmal der richtige war. Nicht des Stückes und der Inhalte wegen,
sondern ich zweifelte eher an meiner Durchsetzungskraft und meiner Überzeugung gegenüber Jörg. Unsere ersten Arbeitsstunden hatte ich noch bildhaft im
Gedächtnis und zudem ein mulmiges Gefühl, was mich noch erwartete. Ich denke, dass sich hier an diesem Punkt zeigen wird, ob wir eine Chance haben, unser
Projekt ernsthaft auf den Weg zu bringen. Wenn diese Arbeit scheiterte, sehe ich kaum noch Möglichkeiten für weitere Schritte. Egal welcher Richtung.
Bevor wir zur zweiten Runde ansetzten, wiederholte ich nochmals und eindringlicher als zuvor, wie ich mir das Aussehen des neuen Schriftstückes vorstellte. Ich
hatte mich in der letzten Zeit intensiver mit Musical-Libretti beschäftigt und ließ mir einige Exemplare zusenden. Nachdem ich diesen Begriff, Libretto, das erste
Mal hörte, muss ich gestehen, zog ich die Begriffserklärung aus dem Internet zu Rate. Darin heißt es: „... ist die Textvorlage einer umfangreicheren
Vokalkomposition in Dialogform, beispielsweise einer Oper, eines Oratoriums, einer Operette, eines Musicals...“ Oder einfacher beschrieben: dieses Wort
kommt ursprünglich aus dem italienischen und heißt nichts anderes als: „Büchlein“. Logisch! Irgendwie muss das Ding ja heißen. Und, dass es nicht den Namen
Ulf trüge, war mir klar. (An sämtliche Ulf-Namensträger: Die ist keine Diskrimierung!) Man lernt nie aus...
In Ordnung, sagte ich mir, schreiben wir also ein Libretto! Als genüsslicher Angeber nutzte ich Jörg gegenüber diesen Begriff, als sei er aus meinem alltäglichen
Sprachgebrauch. Erst auf seine Nachfrage hin, erklärte ich, was gemeint sei. Seine Vorstellungen, das Ganze in Unterpunkten aufzugliedern hatte sich damit
erledigt. Obwohl er noch einige Male unterstrich, dass dies seiner Ansicht nach, eine übersichtlichere Methode wär, fand er sich damit ab. Er hatte in den letzten
Jahren lernen müssen, dass solch eine Arbeitsweise zwar für ihn selbstverständlich ist, aber die anderen von uns damit nichts anfangen können. Darüber hinaus
hat diese Methode keineswegs dazu beigetragen, dass vorhandene Dokumente weiterbearbeitet wurden. Also egal wie, es musste etwas passieren. Ich bestand
eindringlich auf die Erstellung von Dialogen. Nach einer, nur halben Stunde der Erklärungen, fingen wir ein zweites Mal an, unser neues Dokument zu
bearbeiten.
Was Jörg sich bislang nicht ausmalen konnte, funktionierte. Der vorangegangene Arbeitsbeginn war vergessen und die erste Szene, die wir beschrieben und
inhaltlich füllten, wurde klarer und detaillierter, je mehr wir uns mit den Dialogen beschäftigten. Die Ideen sprudelten, wie es selten der Fall war. Und in der Tat,
am Ende unserer Sitzung konnte man sich vor seinem geistigen Auge vorstellen, was auf unserer Bühne geschehen sollte. Jörg war selbst überrascht und gab
zu, dass diese für ihn ungewohnte Arbeitsweise die zweckmäßigste Variante sei, um vorwärts zu kommen. Ja, warum nicht gleich so? Das Geschriebene war
textlich nicht ausgefeilt, aber immerhin ein Anfang und eine Basis, auf der man aufbauen und diskutieren konnte.
Apropos Begriffe, ich sollte mir ebenso einige ausdenken, die ich nachher in mein Vokabular einflechten kann, wie Jörg. First Actor vielleicht oder Alongside
Music. Schön wäre auch: Pilot Character oder Story-For- Reflection-Music. Ich denke, mir wird noch etwas Schönes einfallen.