“Das Schwierigste am Leben ist es, Herz und Kopf dazu zu bringen, zusammenzuarbeiten. In meinem Fall verkehren sie noch nicht mal auf freundschaftlicher Basis.(Woody Allen).”
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Kapitel 30 Festlegungen und Paradoxien

16.05.2007. Wir schreiben seit vergangener Woche weiter. Die Inhalte unseres Roten Fadens sind aufgebraucht. Viele Ursprungsideen konnten wir einbinden. Als Erinnerungen unserer Protagonisten, in Form von Rückblenden. Vieles beruht auf gegenseitigen Kompromissen. Die entstandenen Dialoge, wie gleichfalls einige Songs sind neu und ergeben eine fortlaufende Story. Noch folgen sie den alten Ideen. Die Situation, vor der ich mich eher drücke, als sie anzugehen, ist da. Die Geschichte muss eine Wendung nehmen, die mit Jörgs Ursprüngen nicht mehr viel gemein haben. Festgelegte Aussagen dürfen dabei nicht untergehen. Um nicht zu langweilen, müssen wir uns auf Veränderungen einstellen. Jörg erzählt gern, dass in seinem Kopf ausreichend Einfälle herumschwirren. Das ist kein Trost für mich, da er sie nicht preisgibt. In der letzten Woche kamen erste Einwände. Dabei diskutierten wir nur über den Inhalt unseres Finales, der seit unserem Braunschweig-Treffen mündlich festgelegt war. Das Erdachte wäre so nicht in seiner Geschichte vorgesehen, behauptete er. Ja und? Diese Diskussion war bereits abgeschlossen! In Braunschweig! Und die Festlegungen dazu sind zweieinhalb Jahre alt! Allein 20 Minuten büßte ich von unserer kostbaren und begrenzten Schreibzeit ein, um deutlich zu machen, dass wir nicht darüber diskutieren bräuchten. Ja, er hätte sich das aber anders vorgestellt, sagte er, außerdem ist dieses Finale nirgends schriftlich festgehalten worden, demzufolge hätte es keinen Bestand. Hallo? Soll ich jeden Schnipsel, jedes Gespräch und jede Festlegung jetzt mitstenografieren? Ich kann nicht jeden Monat über die selben Themen diskutieren. Immerhin hat Jörg in all den Jahren behauptet, dass jede Idee willkommen sei – es gäbe keine guten oder schlechten, sondern nur passende oder unpassende. Es war nicht das erste Mal, dass eine solche Situation eintrat. Ähnliche Gespräche führten wir oft. Mich ärgert so etwas. Wir schreiben einmal in der Woche für 2-3 Stunden und verplempern diese wertvolle Zeit mit Nichtigkeiten. Jetzt geht es vorrangig um neuen Stoff, der ersonnen werden muss. Es gibt kaum mehr ein Gerüst, an dem wir uns orientieren können. Wiederholen dürfen wir uns nicht. Wenn ein Fakt besprochen bzw. eingearbeitet wurde, muss ich davon ausgehen können, ihn als erledigt in der Geschichte zu sehen. Eine weiterer Umstand bringt mich in den letzten Wochen so manches Mal auf einen Puls von 180: Prinzipien. Jörgs Zeitplanungen sind für die Ideenfindungen manches Mal kontraproduktiv. Da er morgens, vor seiner beruflichen Arbeit viele Dinge erledigen möchte, steht er gern frühzeitig auf. Kein Problem! Bei mir ist eher das Gegenteil der Fall und wenn sich jemand als Frühaufsteher berufen fühlt, soll er das gern beibehalten. Gut für ihn, schlecht für uns. Wir verabreden uns meist am frühen Abend. Jörg´s Konzentration und Kreativität ist, laut eigener Aussage um diese Zeit ohnehin eingeschränkt, so dass er sich zum Prinzip gemacht hat, nicht nach 20.00 Uhr zu schreiben, egal an welchem Punkt wir sind. Einige Male brachen wir mitten in einer kreativen Phase ab, nur weil Jörg´s Uhr Bescheid gab, dass es Zeit zum Aufhören war?! Wenn ich weiß, dass ich meine Kräfte am Abend benötige, dann teile ich mir meine Zeit anders ein. Jörg nicht. Was geplant ist, soll geplant bleiben. Dieser Umstand zieht sich durch sein gesamtes Privatleben, so dass es ihn belastet. Spontanität gibt es nicht. Da braucht er sich nicht zu wundern, dass er für viele private Dinge keine Zeit hat. Das sollte vorrangig nicht mein Problem sein. Ich bin in meinem Leben eher chaotisch und ungeordnet. Aber nur so kann ich spontan sein, um Dinge vorwärts zu bringen. Meine Musik entsteht spontan, wenn ich Lust und Laune habe. Keine Zeit der Welt könnte ich dafür einplanen. Selbst mitten in der Nacht stehe ich unter Umständen auf, um Ideen niederzuschreiben oder einzuspielen, um weiter schlafen zu können. Klar, kann ich Dinge wie die Steuererklärungen oder andere unangenehme Aufgaben nicht erst erledigen, wenn ich die Lust dazu verspüre. Solche Vorhaben fielen ins Wasser. Jedoch gelten auch hier für mich keine eindeutigen Zeiteinteilungen. Eher die Bestimmung, in welchem Monat so etwas fertiggestellt sein sollte. Ebenso schreibe oder korrigiere ich an diesem Büchlein, wenn mir danach ist. Wobei durchaus Tage oder Wochen vergehen, an denen ich nicht einmal mein Schreibprogramm öffne. Mein Chaos spiegelte sich an manchem Libretto-Terminen wider. Wenn mich jemand dabei beobachtete, gäbe er mir höchstwahrscheinlich Beruhigungstabletten. Nicht nur, dass ich von einem Thema zum nächsten springe und meine Ideen in Sätzen wiedergebe die ich beim Sprechen noch im Kopf sortieren muss, sondern ebenso sind meine Bewegungen der Grund. Mit Händen und Füßen rede ich, obwohl mich mein Mitstreiter nicht sieht. Eine Zigarette nach der anderen wird angesteckt. Ich laufe durch mein Studio, durch den Garten, hänge meine Gitarre um und wieder ab, spiele an meinem Klavier herum, stehe wieder auf und komme nicht zur Ruhe, bevor ein Szenarium auf meinem Rechner erscheint. Jörg hört sich meine Ideen, Einwände, Erläuterungen und Ideensprünge an und versucht das Ganze zu formulieren, in Worte zu kleiden und in seinen PC einzutippen. Ab und zu fordert er mich zum Schreiben auf. Heute bist du dran... Wenn ich starte und die ersten Sätze auf meinem Bildschirm erscheinen, halte ich das nicht lange durch. Ich lande schnell an einem Punkt, wo mir nichts mehr einfällt. Ich muss aufstehen, ich muss gehen, mich bewegen! So bleibt es nicht lange bei meinen Fingerübungen an der PC-Tastatur und Jörg muss wieder übernehmen. Er ist ganz froh darüber. Denn oft ist es meine Zappeligkeit, die uns in der Geschichte vorwärts bringt. So komisch sich das anhört. Die Diskussionen gingen weiter. 23.05.2007, der erste verabredete Schreibtermin an dem wir nichts schrieben fand statt. Völlig überarbeitet und kompromisslos hielt Jörg heute krampfhaft und um jeden Preis an einer Idee fest, an der es nichts zu rütteln gab. Diese zwei Stunden hätten wir uns schenken können. Das Problem an diesem Fall war, dass ich die Idee zwar gut fand, aber den Weg dorthin logischer und einfacher bereiten wollte. In der letzten Woche sprach ich mit ihm über diesen Themenkomplex und bot einen Kompromissvorschlag an. Um nicht lange um den heißen Brei herumzuschreiben, erzähle ich ausnahmsweise, worum es geht: In unserem Braunschweig-Treffen kam Rainer auf eine gute Idee. Unser Hauptdarsteller verliebt sich. Er kommt seiner Angebeteten näher, sie werden ein Paar und zeugen ein Kind. Diesem Kind wollten wir im weiteren Verlauf unserer Geschichte eine wichtige Rolle zukommen lassen. Der wesentliche Fakt, der sich hier verbirgt, ist, dass dieses Kind die Naivität und, ich nenne es mal „Reinheit“ besitzen muss, um seiner Rolle zu gerecht zu werden. So weit, so gut. Das Problem, dass sich für unser Theaterstück hier eröffnete, liegt in der Zeit, in dem das Kind gezeugt, ausgetragen und aufgewachsen sein muss. Denn das Alter des Kindes lag in unseren Vorstellungen zwischen 5 und 8 Jahren. Nicht nur die Geschichte und der Erzählfluss käme ins Stocken, sondern wir müssten unendlich viel erklären, was in diesen nicht gezeigten Jahren alles geschehen sei. Abgesehen davon, wird sich allein diese Altersvorstellung in einem Theater nicht realisieren lassen. Aber das ist eine andere Geschichte. Ich dachte nach, wie man das umgehen könne, damit es für den Zuschauer nachvollziehbar ist. Wir brauchen ein Kind. Um nichts anderes ging es. Also machte ich den Vorschlag, einen „blinden Passagier“, ein Kind, mit einzubauen. Das wäre einfacher und wir könnten erzählerisch fortfahren. Das passte Jörg nicht. Dieses Kind müsse seinen Ursprung in Gestalt seiner Eltern, unserer Darsteller haben. Auf meine Frage, wie er diesen langen Zeitraum beschreiben und erklären würde, kamen die phantastischsten Theorien als Antworten. Zwei Beispiele nenne ich: Jörg erklärte mir, wir könnten den erzählerischen und dargestellten Zeitrahmen verkürzen. An unserem erdachten Spielort vergehe die Zeit langsamer als auf der Erde, so dass nur 3 vergangene Monate überbrückt werden müssen, um dieses Kind im gewünschten Alter zu zeigen. Haben Sie das verstanden? Gemeint war der Blick auf die Erde, an der dann logischerweise die Zeit rast und somit das Kind in Windeseile älter wird, wüchse es auf der Erde auf. Mein Einwand, dass das nur aus Sicht der Erd-Zeit funktioniert, sich aber unsere Geschichte ganz woanders abspielt, zählte hierbei nicht. Die zweite Alternative war, dass es durch seine Herkunft und seine Gene schneller erwachsener wird. Alles schön und gut sagte ich, aber unser Zuschauer wird sich fragen, warum das so ist. Selbst wenn dies, was wir tun Science Fiction ist, werden sich die Naturwissenschaften und seine Grundlagen nicht verleugnen lassen. Egal, wie schnell die Zeit relativ vergeht, egal woher ich stamme. Man könne ja alles ERKLÄREN, meinte er. Ich weiß nicht, ob unser Zuschauer scharf darauf ist, das Gesehene erst erläutert zu bekommen. Selbst ich brauchte lange, bis ich mir vorstellen konnte, was gemeint war. Ganz zu Schweigen von den Zusammenhängen, die dahinter steckten. Viele Details und Fragen kamen mir in den Sinn. Jörg verkomplizierte und verstrickte sich in diesen Ideen, so dass sich immer mehr logische Fehler und erklärungsbedürftige Fakten aufbauten. Eine ominöse Stimme aus dem Off sollte den Erzählerpart übernehmen, um das undurchschaubare Verwirrspiel zu erklären. Dabei war die Frage nach einem Erzähler längst geklärt, da wir einem unserer Darsteller diese Funktion übertrugen. Hier bekam ich nach meinem Einspruch eine Antwort, die ich an dieser Stelle kaum erwartet hatte: „...ich fand diese Idee sowieso nicht gut...“ Wir hatten diesen Part aber bereits eingebaut. Mein Plan, die Geschichte in eine andere Richtung zu lenken, ging heute nicht auf. Ich weiß, dass man Widersinniges nicht mit paradoxen oder absurden Alternativen ersetzt. Daher bemühe ich mich, eine Lösung zu finden, aus dieser Misere herauszukommen. Wie wäre es mit einer Telefonkonferenz?