LARIFARI
Kapitel 46 Nachrichten
11.08.2009 Nachdem die Diskrepanzen mit Rainer ihren Höhepunkt fanden, indem nochmals ein Telefongespräch stattfand, dass die Fronten verhärten sollte,
war ich an der Reihe.
Unsere erdachte Eröffnung des Stückes sollte mit einer Art Projektion beginnen, in der wir mögliche Folgen der Zukunft, wie zum Beispiel eine Verschärfung des
Terrorismus, politische und ökologische Fehlschläge, Auswirkungen einer Bevölkerungsexplosion und vieles mehr in Form einer Nachrichtensendung aufzeigen
wollten.
Das Szenario war düster, realistisch, spannend und erhob in mancher Hinsicht leicht den Zeigefinger. Es machte Spaß daran zu arbeiten. Als Grundlage nutzten
wir einige Ideen aus Jörgs früheren Aufzeichnungen und erdachten uns neue.
Wochenlang nutzten wir die Zeit die wir hatten, um unsere Schlagzeilen in Nachrichten umzuwandeln. Es war wichtig, hier Sorgfalt an den Tag zu legen, denn
alles sollte so plausibel, wie nur möglich klingen. Oft versuchten wir uns gegenseitig zuzuhören, wenn der andere seinen Tagesschau-Ton auflegte. Immer
wieder wurden Kleinigkeiten verändert, um den typischen Stil der Journalisten und Fernsehsprecher zu treffen. Anfang August waren wir fertig und sehr
zufrieden mit unserem Ergebnis. Wir fügten ausschließlich diese Zeilen in unser aktuelles Manuskript ein.
Mitte letzter Woche erreichte mich eine Mail, in der Jörg ankündigte: „So, meine letzte Überarbeitung“ . In dieser befand sich ein angehängtes Dokument, dass
mich zunächst nicht neugierig machte. Ich ging davon aus, dass er einige Schreibfehler beseitigt und kleine Änderungen in Bezug der Wortwahl vorgenommen
hatte. Ich hatte wenig Zeit und nahm mir vor, dieses Beiblatt in meiner nächsten freien Woche zu studieren. Gestern bekam ich eine weitere Mail mit der
Bezeichnung „Nachrichtenblock neu überarbeitet Final“ und dem Hinweis: „Letzte Fehler beseitigt …“ Ich stutzte. Eine finale Version und welche Fehler beseitigt?
Was hieß das? Ich schaute mir das Dokument an und erschrak: Unsere bisher abgestimmte Version war um ein Fünftel länger, als die ursprüngliche. Es mehrten
sich beim Lesen Fehler und diverse Änderungen führten zu einem völlig anderen Sinn. Voller Entsetzen und im Zuge meiner Entrüstung schrieb ich sogleich
zurück:
„Ich habe es durchgelesen. Das Dokument geht so nicht! Du hast ca. 200 Worte mehr eingefügt!!! Schon allein das Original war zu lang. Du kannst nicht alles erklären und
ausbauen, als ob Du ein Buch schreibst! Allein wenn Du diese Nachrichten, wie Du sie jetzt unnötig verlängert hast, hintereinander liest - in einer schnellen Leseart ohne
Berücksichtigung irgendwelcher Pausen oder Senderjingles, die geplant waren, kommst Du auf eine Länge von sage und schreibe neuneinhalb Minuten Lesezeit!!! Ich habe
es zwei mal gestoppt. Das geht einfach nicht! Ich erinnere Dich an unser Script, wo geschrieben stand:
"...Überblendung in den Nachrichtenblock als Opener (wird noch zusammen gestellt …) - sollte nicht zu lang gehen ( höchstens 2 Min.), in Anlehnung an Text "Last M..." -
DEINE WORTE!
Selbst wenn dieses Stück, oder wie wir es benannt haben: unser Nachrichtenblock als Opener länger als ein normales Musikstück geht, im Schnitt also 3-4 Minuten,
langweilt sich unser Zuschauer! Versteh mich nicht falsch, aber ich dachte, Du versuchst den Block inhaltlich und technisch zu optimieren und nicht aufzublasen und
nochmals zu verlängern! Ehrlich: So kann ich damit nichts anfangen. Tut mir leid.
Ich bekam eine Antwort zurück, die mich mehr als verwunderte:
„Richtig, Frank, aber nur theoretisch 9 min. Es sind 4 - 6 Projektoren (= 9 min durch 4 Projektoren = 2,25 min) Hallo, dieser Text, diese Nachrichten laufen teilweise parallel
und überblendet. Wir telefonieren darüber, es ging darum, die Inhalte stimmig zu machen, nicht darum, auf 2 min linearen Text, Der ja so nicht dargestellt wird, zu
kommen. Und, Du hast mich zitiert, "Überblendungen" ... Wir sprechen darüber Bis nachher, Jörg“
Aha! 4 Projektoren, die gleichzeitig unsere Nachrichten abspielen! Und Überblendungen von unserer Ouvertüre in diesen Nachrichtenblock waren auf einmal
Überblendungen innerhalb unserer Präsentation. Es war nie angedacht, diesen Part so zu zeigen! Ich möchte gar nicht daran denken, wie der Zuschauer sich fühlen muss,
wenn ihm dieses Gewirr vorgespielt wird. An dieser Stelle schossen mir Gedanken durch den Kopf: Warum machten wir uns all diese Mühen, wenn eh nur ein
unverständliches Durcheinander dabei heraus kommen soll? Mein Verständnis blieb auf der Strecke, so dass ich ihn noch einmal anschrieb:
„... Du, ich bin nicht böse darüber, dass Du günstigere Worte wie z.B. "ausgeübt" mit "verübt" ausgetauscht hast.
Aber Du hast Dir in den Texten, die soweit alle von der Nachricht her in Ordnung waren, einige Schnitzer erlaubt, die nicht dazu beigetragen haben, den Text zu
verbessern. Sondern ich sehe in einigen Abschnitten schon wieder Dopplungen und angefügte Sätze, die teilweise nichts da zu suchen haben und vor allen Dingen keine
Nachricht sind. Darum schrieb ich ja auch von unnötigen Verlängerungen.
Ich war froh darüber, dass wir endlich durch waren - und sehe jetzt schon wieder Handlungsbedarf, die eine weitere Bearbeitung unumgänglich machen. Das ist es, was
mich vorrangig stört. Nicht, dass der Text die 2-Minuten-Grenze nicht erreichen kann. Ich denke, es fällt einem immer wieder etwas auf, was man verändern könnte. Das
wird im Gesamt-Libretto auch immer der Fall sein, oder in jedem Musikstück, dass man je bearbeitet. Aber irgendwann sollte man einen Schlusspunkt in der Bearbeitung
setzen. Und um auf das eigentliche Thema zu kommen: Die Änderungen sind zum Teil eher eine "Verschlimm-Besserung" und keine Verbesserung! Kein "final", sondern
einen Schritt zurück...“
Auch telefonisch konnte ich ihn nicht überzeugen, dass diese „Überarbeitung“ keine war. Er ist felsenfest davon überzeugt, dass er dem Text mehr Tiefe und
„Nachrichtencharakter“ gegeben hat. Trotz der Fehler, Dopplungen und sinnfreien Beispiele, die ich ihm nannte, war Jörg nicht in der Stimmung ernsthaft
darüber nachzudenken.
Nun fügte ich zunächst das gemeinsam erarbeitete Dokument von August in das Libretto ein. Ich hoffe, er nimmt sich in den nächsten Tagen Zeit, seine
überarbeitete Fassung intensiv durchzulesen und über meine Kritik nachzudenken. Ansonsten wird er gar kein Verständnis für meine Wut, die dadurch
entstanden ist, aufbringen.