LARIFARI
Kapitel 50 Motivation
03.12.2010 Acht Monate sind vergangen. Dabei hätte ich gern viel berichtet. Ab und an las ich die letzten Zeilen meiner Dokumentation und schloss sie wieder.
Ich weiß nicht, ob aus einer Demotivation heraus, oder weil ich nicht weiß, ob ich weiterschreiben sollte. Seit meinem letzten Eintrag gab es nur wenig
musikalisches, was es zu berichten gäbe. Viel zu wenig. Um weiterführende Ereignisse festzuhalten, wäre es wichtig gewesen, dass unsere Arbeit nennenswert
voranschreitet. Das tat sie nicht.
Ich war immer aufgeschlossen für Neuerungen und Denkanstöße. Wenn es etwas gab, dass mich inspirierte, verlieh mir dieser Aspekt neue Kräfte, zu arbeiten.
Ob es die Überprüfung unseres Manuskriptes war, die Idee meiner Filmdokumentation, oder nur eine Meinung zu den bisher erstellten Musikstücken. All diese
Unterstützung brauche ich, um mich für unser Projekt anzuspornen und neue Begeisterung zu initiieren. Leider erhalte ich sie derzeit nicht. Weder haben die
Anstrengungen für die Weiterführung des Videoprojektes, noch meine intensiven Bemühungen an der Filmmusik etwas ergeben. Geschweige denn, die
Kompositionsarbeit am Musical. Ich denke leider, dass die Selbstmotivation und der Aufwand, den ich betreibe, im Sande verläuft.
Eventuell gibt es zu wenige Dinge, die ich aktiv vorantreibe. Vielleicht frage ich mich zu oft bei meinen Bemühungen, ob es sich lohnt, sie weiter zu verfolgen? Ich
trauere nicht selten der Zeit hinterher, die ich in meinen Augen verschwende. Wenn etwas im Nichts endet, ist dies nicht gerade eine aufbauende und
inspirierende Situation. Eher das Gegenteil.
Jörg ist derzeit keine große Hilfe. Selbst die privaten Telefongespräche sind selten geworden. Sein Tatendrang für unser Musicalprojekt läuft seit sehr vielen
Monaten auf Sparflamme. Die letzte ernsthafte Auseinandersetzung hatten wir vor 15 Monaten. Seitdem herrscht verhaltenes Interesse. Ich höre ab und an
Sätze, wie: „...wir haben lange nichts für unser Projekt getan....“ oder „...wir müssten uns mal wieder zusammensetzen ...“, dabei lässt Jörg außer Acht, dass ich
vieles getan habe! Nur gemeinsam beschäftigten wir uns nicht damit.
Viel Freizeit wendet er für persönliche Dinge auf, die anscheinend einer anderen Kategorie zuordnet wurden, als dem Privaten. Es geht um seine Gesundheit,
seinen Sport, seine Ernährung, technische Errungenschaften und wiederkehrende Bemühungen, Computersysteme neu aufzubauen und umfangreich zu
installieren. Verbunden mit den Klagen, dass er seine Musikumgebung seit langem nicht gesehen hat. Sorry! Das alles sind private Dinge, die er allein steuern
kann. Niemand zwingt ihn dazu, sich solchen Themen zu widmen. Ich setzte bereits viele Musikstücke und Ideen um. Nur nützt es nichts, wenn ich etwas
kreiere, dass nur für mich allein lebendig wird! Es ist auch sein Projekt, mit dem er sich auseinandersetzen muss, wenn jemals ein Produkt daraus entstehen soll.
Da ich mit unserer Arbeit ein wenig ausgebrannt war, versuche ich seit dem Sommer, mir Inspirationen zu beschaffen. Angefangen mit meinem Urlaub in den
USA. Ich war in diesem Jahr ein weiteres Mal in New York. Meine Lebensgefährtin, meine Tochter und ich wohnten direkt am Broadway und wir entschieden uns,
Musicalproduktionen anzuschauen. Die Stadt selbst trug ungemein dazu bei, meine Gedanken zu ordnen und sich für Neues zu öffnen. Ein besonderer
Umstand, der mich bereits 1998 antrieb in die USA zu reisen war, dass ein Teil meiner Familie dort lebt. Meine Großmutter und zwei meiner Tanten. Meine
damalige Ankündigung sie zu besuchen hatte nicht Freude, sondern eine gegenteilige Reaktionen ausgelöst, als ich erwartete. Meine Großmutter riet mir, die
Vereinigten Staaten und insbesondere sie nicht aufzusuchen, worüber ich recht verwundert und auch verärgert war. Die Gründe, die sie nannte, waren für mich
eher vorgeschoben: hohe Kriminalität, unsere bescheidenen Englischkenntnisse und dass sich keiner um uns kümmern könnte, da die Familie wenig Zeit hatte.
Ich änderte meine Reisepläne nicht und verbrachte in anderen Bundesstaaten einen wunderschönen Urlaub.
Es ließ mir keine Ruhe. Jahre vergingen und ich startete, diesmal ohne Ankündigung, einen weiteren Versuch. Ich kannte meine Oma nur von Briefen und
wenigen Telefonaten. Meine Tanten kannte ich nicht, da mein Englisch nicht gut ist und sie kein deutsch sprechen. Ich fragte mich jahrelang, was Oma damals
veranlasste, mich so abzuweisen? Mehr als spekulieren konnte ich nicht. Hieß es in ihren Schreiben immer, wie sehr sie uns liebte und glücklich wäre, uns
einmal zu sehen. Ich verstand es nicht.
Nach dem Besuch einiger Freunde in Boston reisten wir weiter. Im Vorfeld machte ich mir viele Gedanken um diesen Besuch. Ich war aufgeregt und konnte
kaum schlafen. Wie wird sie es aufnehmen, wenn wir spontan vor der Tür stehen? Wird sie uns empfangen? Wie sieht sie jetzt aus? Sie vermied es in den letzten
Jahren, uns aktuelle Fotos zu senden, da sie sich nicht mehr ablichten ließ. Rufe ich vorher an? Je näher ich ihrer Wohngegend kam, desto unschlüssiger wurde
ich, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Aber was kann jetzt noch schief gehen? Sie ist alt und das wird vielleicht meine erste und letzte Möglichkeit
sein, ihr zu begegnen und sie kennen zu lernen!
Ich war in Charlotte, North Carolina. Dem Ort, von dem ich viel hörte und las. Keine 40 Meilen von ihrem Wohnort entfernt. Bereits als Kind nahm ich oft meinen
Atlas zur Hand und suchte diese Gegend auf der Landkarte. Ich wünschte mir, einmal das Umland zu sehen, ein eigenes Bild zu schaffen, wo sie jahrzehntelang
lebte und ich wollte mehr kennenlernen, als nur Geschichten und Berichte. Am nächsten Morgen unserer Ankunft in Charlotte frühstückten wir und suchten
einen Blumenladen auf. Bewaffnet mit einem Blumenstrauß fuhren wir mit unserem Mietwagen zu unserem lang ersehnten Besuch. Auf dem Weg über den
Highway sahen wir regelmäßig Schilder mit mir bekannten Ortsnamen. Auch heute noch kann ich dieses Gefühl, dass mich bei dieser Fahrt begleitete, kaum
beschreiben.
Unser Navigationsgerät führte uns bis vor die Tür. Wir stiegen aus und klopften. Nach einer ganzen Weile öffnete meine Cousine und fragte uns, was wir
wollten. Ich antwortete nur „Hi, I´m Frank“, als sie daraufhin die Hände vor´s Gesicht und uns die Tür vor der Nase zuschlug. Was war das? Wir drei schauten
uns ungläubisch an. Minuten später stand sie in Begleitung meiner Großmutter am Eingang. Diese konnte die Situation kaum fassen und nahm mich einfach in
ihre Arme. Ein bewegender Moment.
In den Folgemonaten nach unserer Rückkehr ließ ich absichtlich die Akten des Musicals geschlossen und widmete mich musikalischen Ideen meiner Anfangszeit
vor über 22 Jahren. Das half mir, mich abzulenken und dennoch Musik zu erschaffen. Ich erhielt zudem vor Wochen Instrumente von einem Kollegen, der sein
Hobby aufgab. Synthesizer und eine Drummaschine. Zusätzlich kaufte ich mir noch eine Gitarre und einen Bass. All das bescherte mir neue Inspiration. Leider
für die falsche Musik.
Ich werde das Gefühl nicht los, dass mich eine Demotivation plagt, gegen die ich kaum ankomme. Jede freie Woche nehme ich mir vor, am Musical
weiterzuarbeiten. Aber ich schiebe es absichtlich zur Seite und ärgere mich jedes Mal, es nicht getan zu haben. Meine Kreativität hat dabei nicht gelitten. Das
zeigt sich an den Ideen, die ich begann. Ich schreibe derzeit deutsche Texte für meine Rock- und Popmusik, komponiere und bearbeite Demostücke, die in
meinem Umkreis positiven Anklang finden. Nur mit dem Musical komme ich nicht vorwärts.