LARIFARI
Kapitel 52 Alles hört sich gleich an
22.02.2011 Ein interessantes Erlebnis hatte ich vor zirka 2 Wochen. Meine Lebensgefährtin und ich waren zum Geburtstag eingeladen. Die Jubilarin war Jörg´s
Freundin. Wir verbrachten einen netten Abend und führten einige Gespräche. Hauptsächlich mit Jörg und seiner besseren Hälfte, da wir den Großteil der
anderen Gäste nicht kannten.
Ich vermied es, so gut es ging, ihn auf die Situation unseres Arbeitsstandes hinzuweisen. Der unbeschwerte Abend sollte nicht unnötig belastet werden. Wie ich
bemerkte, machte er sich selbst kaum Gedanken dazu. Ein für ihn wichtiges Thema kam zur Sprache: seine Pop-Stückchen. Derzeit beschäftigt sich Jörg mit
einem Titel, der unseren geplanten Nachrichtenblock zur Grundlage hatte. Er stellte bei der Bearbeitung fest, dass zu viele Informationen und ein zu
umfangreicher Text vorlag. Er fragte mich ernsthaft, ob ich wüsste, dass man allein knapp 10 Minuten bräuchte, um diesen Text nur vorzulesen. Ganz zu
schweigen von der Zeit, die verginge, wenn dieser Text einer Songform untergeordnet wäre. Ich entgegnete, dass ich ihm diese Feststellung bereits im August
2009 nach unserer Schreibprozedur mitteilte, worauf immerhin eine heiße Diskussion aufflammte. Ich erinnerte ihn, in welcher Art und Weise er argumentierte
und welch tolle Idee er mir unterbreitete, dass Ganze in einem Viertel der Zeit unterzubringen. Und nun ist dieser Text zu lang? Wer hätte das gedacht...
Ich arbeite weiter. Die Orchestrierung bereite mir zunehmend Probleme. Das liegt daran, dass ich eine sehr authentische Instrumentalbibliothek verwende, die
große Kapazitäten benötigt. Mein System verwaltet leider nur einen Teil des integrierten Arbeitsspeichers. Ich besitze zwar leistungsstarke
Computerkomponenten, kann sie jedoch mit meinem Betriebssystem nicht vollständig nutzen. Derzeit lasse ich mir ein Angebot unterbreiten, meinen
Studiorechner auf ein optimiertes System umzustellen, ohne dass ich in meinen Arbeiten eingeschränkt bin. Ich hoffe, meine Vorstellungen lassen sich
umsetzen.
Ich muss nicht erwähnen, dass meine Musikstücke der letzten Wochen auch bis heute von Jörg ungehört blieben. Ausschließlich eine Idee fand den Weg zu
seinen Ohren. Eine ernste Auseinandersetzung erfolgte nicht. Er schrieb: „Hab mir heute morgen den Chor angehört - Respekt, gut. Wie hast du die Frauenstimmen
hinbekommen? Lass und nachher mal telefonieren ...“. Das war tatsächlich das Einzige, was ihm dazu einfiel? Wie ich die Frauenstimmen imitiere? Mehr kam zu
diesem Thema nicht. Auch im Telefonat interessierte ihn vielmehr, wie ich die technische Umsetzung vornahm. Keine Anmerkung zum Text und keine
Anmerkung zur Musik.
Um den Überblick nicht zu verlieren, begann ich eine Strukturierung meiner Datei-Ordner vorzunehmen, die mir half, alle Musikstücke des Musicals schneller
aufzufinden. Jedes Stück bekam einen endgültigen Titel und jede Musikuntermalung einen Namen. Ich bat Jörg, darüber nachzudenken, welche Strategie wir in
der Zukunft verfolgen sollten, um Hintergrundmusik festzulegen. Ich schrieb: „...Kleine Aufgabe an Dich: Einige Instrumentalstücke sind bis jetzt noch nicht da. Du
hast von mir alle relevanten Schnipsel und Ideen. Nimm Dir bitte die Zeit und das Libretto zur Hand und schaue Dir die einzelnen Szenen an … Höre Dir die Schnipsel an
und sage mir, welche Ideen und Melodien Dir jeweils dazu gefallen, oder wann Du denkst, dass eine Stimmung getroffen wurde. Denke daran, dass sich die Musik
unterordnen muss und nur als Hintergrund (also wie Filmmusik) verhalten sollte. Ich kann das hier kaum mehr einschätzen, da ich alle Stücke in- und auswendig vor mir
herpfeifen kann....“
Einfache Aufgabe, klar beschrieben. Im Telefonat zwei Tage später, erklärte Jörg, dass er nicht verstehe, worauf ich hinaus wolle. Ich drückte mein
Unverständnis aus, da ich annahm, meine Bitte deutlich beschrieben zu haben. Ich wiederholte mich und fügte hinzu, dass er die bereits bestehenden Gesangs-
Stücke in dieser Suche mit einbeziehen kann, damit ein Wiedererkennungswert geschaffen wird. Die Antwort darauf überraschte selbst mich. Er bemerkte: Du,
sei mir nicht böse, aber das hört sich alles für mich gleich an. Hätte ich einen Mittagsteller vor mir stehen, wäre ich glatt ins Essen gefallen. Was wollte Jörg
damit sagen? Es hört sich alles gleich an? Ja, ein Klavier klingt wie ein Klavier, ein Orchester, wie ein Orchester! Die Instrumente hören sich gleich an! Das hat
aber mit den Melodien, mit den Arrangements und deren Bearbeitung nichts zu tun! Bei solchen Aussagen verzweifel ich. Wie oft, frage ich, hat er sich die zum
Teil fünf Jahre alten Ideen und Musikstücke angehört? Hat er es überhaupt?
Ich erwarte nicht viel. Ich möchte, dass er sich mit der Musik beschäftigt. Aber mein Unverständnis über den Stellenwert seiner Taten und Bemühungen wächst
von Tag zu Tag. Heute telefonierten wir recht kurz miteinander. In diesem Gespräch erzählte er, dass viele Freiräume innerhalb seiner Arbeit entstanden sind,
die er gern sinnvoll nutzen möchte. Anstatt meine Bitten zu erfüllen, schlug er vor, dass er das Libretto unter Zuhilfenahme einer Software in ein anderes
Format bringen möchte. Aha!
Ich weiß, ich weiß! Aufregen nützt nichts. Jörg bleibt entgegen seiner Behauptungen recht immun gegen Ratschläge. Ich habe viele Tipps gegeben und vergeblich
versucht, ihn in die Materie der Musik und des Theaters einzuführen. Mit wenig Erfolg. Am meisten ärgert es mich, dass er sich mit den Grundlagen nicht
beschäftigt. Er soll kein Experte, Musikdozent oder Theaterwissenschaftler werden. Aber weder nimmt er sich Referenzmaterial zur Hand, noch bemüht er sich,
Verständnis für unser Projekt aufzubringen. Ich bin es leid, immer wieder von vorn zu beginnen und zu erklären, worum es geht. Jeder, der diese Zeilen liest,
wird sich fragen, warum ich keinen Schlussstrich ziehe. Das frage ich mich auch. Ich brachte soviel Kraft und Energie in dieses Vorhaben, dass es vergeudete Zeit
sein wird, gäbe ich es auf,. Ich werde dieses Musical vielleicht für mich fertigstellen. Für mich allein. Egal, was dann nachher daraus wird. Ich muss es beenden.
Nicht jetzt und nicht sofort. Derzeit fehlt mir die Motivation dazu.