LARIFARI
Kapitel 53 Die Finanzkrise
25.07.2011 Wochen vergingen. Ich dachte nach, warum Jörg sich nicht mit der Musik auseinandersetzte. Dieser Umstand war mir unverständlich und eine
Lösung sah ich nicht. Ich arbeitete weiter, sofern es meine Zeit zuließ. Da es mich frustrierte, keine Rückmeldungen zu erhalten, hörte ich auf, mich mit den
Stücken zu beschäftigen. Da Jörg während eines Gespräches erwähnte, dass er den Überblick der zugesandten Stücke verloren hatte, ersann ich eine einfache
Methode, sie ihm zu verschaffen. Ich verlegte die Ergebnisse meines erarbeiteten Materials auf eine gesicherte Internetseite. Um die Übersicht zu wahren,
sortierte ich sie erstmals in der Reihenfolge, wie sie im Musical vorkämen. Ich gab Zusatzinformationen an, um welches Stück es sich handelte, welche Funktion
es besaß, wann die letzte Bearbeitung erfolgte und welche Arbeitsschritte fehlten. Ebenso gab ich in dieser Übersicht Hinweise darauf, an welchen Stellen des
Stückes Hintergrundmusik erklingen kann und bezeichnete sie. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, dass der von Jörg genannte auch tatsächlich ein Grund war,
diese nicht zu hören, jedoch gab es jetzt keine Ausreden mehr.
Ich sandte sowohl Torsten, als auch Jörg den Link dieser Seite. Beide bestätigten mir, dass diese Idee recht gelungen sei. Ich versprach, dass neue
Überarbeitungen zeitnah den Weg auf diese Internetseite finden werden, so dass ich keine E-Mails mehr senden müsste, um meine Mitstreiter auf den
neuesten Stand zu bringen. Alsbald erhielt ich von Torsten die ersten Rezensionen, da er sich die Musikstücke sofort lud und auf seinen MP3-Spieler übertrug.
Ich wartete erneut einige Wochen auf Jörgs Rückmeldung. Jetzt, da alles in einer Übersichtlichkeit vorlag, die es ihm ermöglichte, nichts mehr durcheinander zu
bringen und alles vollständig aufgeführt war, erwartete ich eine Reaktion, da seine Argumentation zum Nicht – Hören aus der Welt geschafft wurde. In jedem
Telefonat versprach er, sich damit zu beschäftigen. Oft verbunden mit einer Zeitangabe. „Ende der Woche...“ hörte ich, „während meiner Dienstreise“ oder
„...während meines Urlaubs...“. Mittlerweile sind tatsächlich vier Monate vergangen und bis heute höre ich ausschließlich leere Versprechen, eine ausführliche
Rückmeldung zu erhalten. Außer dieser Ankündigung erhalte ich stattdessen sehr viele Informationen zu einer Idee, wie man das Musical finanzieren könne.
Halt! Finanzieren? Wieso finanzieren? Was möchte Jörg finanzieren und warum? Wir haben nichts. Weder ein vollständiges Libretto, noch ein einziges finales
Musikstück. Geldmittel werden, wie ich bereits ausführte, in der Zukunft eine Rolle spielen und diese Ermittlung, wofür finanzielle Spielräume tatsächlich
gebraucht werden, muss zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Nach der Fertigstellung unseres Musicals. Nach gesammelten Erkenntnissen, ob Theater oder
Bühnen Interesse zeigen. Oder frühestens nach einer Auswertung von Fachleuten, ob das Material bühnentauglich und ausreichend ist, um damit verbindliche
Angebote zu erstellen. Es gibt viele theoretische Ansatzpunkte, wofür man Geld brauchen könnte. Für Bewerbungsmappen, für Aufnahmen mit professionellen
Sängern, für die Unterstützung eines Theaters, für die Bezahlung eines Arrangeurs oder für Werbemittel. Diese Liste könnte endlos werden. Weder Jörg noch ich
können diese Ansätze, aufgrund unserer nicht vorhandenen Erfahrungen, erkennen. Somit verläuft eine Theorie nach der anderen im Sande und bleibt Theorie.
Im vorigen Jahr, nach dem Urlaub, nahm ich mir Zeit, neue Stücke für mein privates kleines Projekt zu schreiben. Das hat mir gutgetan. Viele positive
Rückmeldungen von Freunden und Bekannten war der Lohn. Diese kleinen Erfolgserlebnisse beflügelten meinen Ehrgeiz, mehr daraus zu machen. Ich
entschied mich, entgegen meiner bisherigen Ambitionen, ein Konzert zu geben. Ich nehme an, dass dies eine Ausnahme bleiben wird. Die Idee gefiel mir, so
dass ich gegen Ende des Sommers im Zuge einer größeren Feierlichkeit nach vielen Jahren live auftreten werde. Auf Nachfrage bei musikalisch bewanderten
Freunden, bei diesem Konzert mitzuwirken, erhielt ich einige Zusagen. Ich freue mich sehr, dieses außergewöhnliche Ereignis zu veranstalten. Es wird eine Reise
durch mein gesamtes musikalisches Schaffen. Von der Popmusik, der Elektronik bis hin zu akustischen oder rockigen Stücken. Derzeit finden Proben und
Vorbereitungen statt. Ich wusste gar nicht, wie sehr ich so etwas vermisste. Vordergründig steht der Spaß – Faktor auf der Tagesordnung, keine einstudierte
Licht- und Bühnenchoreographie. Es wird vieles improvisiert und somit kein perfektes Konzert. Aber ich denke, dass ich auf diese Weise den geladenen Gästen
ein wenig Freude und Unterhaltung biete.
Auch in diesem Jahr verbrachte ich meinen Sommerurlaub in den Vereinigten Staaten. Viele Reiseerlebnisse gab es zu erzählen. Viele Fotos zu zeigen. Aus
meinem Umfeld interessierten sich einige dafür. Nach eigenem Bekunden auch Jörg. In einem ersten Telefongespräch nach unserer Wiederkehr fand dieses
Thema in zirka 3 Minuten Gesprächszeit Beachtung. Der Rest dieses Telefonats beschränkte sich leider auf die Idee der Finanzierung des Musicals. Er habe „viele
Erkenntnisse gewonnen“, es gehe „um richtig viel Geld, wenn nicht um Millionen“. Sogleich verflog meine Lust, weitere Details des Urlaubs preiszugeben. Er
erklärte, dass es viel zu erzählen gibt und wir uns einen längeren Termin ausmachen sollten, um alles zu besprechen. Ich bin gespannt, was es Wichtigeres
geben kann, als sich mit dem Musical auseinanderzusetzen. Ich vergleiche das Stück mittlerweile mit einem alten Kaugummi. Der Geschmack ist weg und es
zieht sich endlos und unnötig in die Länge.
Diese Begeisterung, die Jörg für nebensächliche Dinge entwickelt, kenne ich zu gut. Es gibt, wenn er sich einer Sache nicht entzieht und viel Freizeit dafür
aufwendet, kaum ein anderes Thema, dass er bespricht. Er grübelt, beliest sich, denkt tagelang darüber nach, holt sich Meinungen ein und recherchiert im
Internet. Er arbeitet umfassende Konzepte aus, die dann praktisch umsetzbar wären. Leider bleibt es meist bei der Theorie. Ich erinnere mich an
Arbeitsaufgaben, die er priorisierte, so dass keine Zeit mehr für das Theaterstück blieb. Zum Beispiel die Umsetzung des Manuskriptes in ein anderes Format,
das Kümmern um die Namensgleichheit des Protagonisten und die teilweisen ähnlichen Handlungsstränge des kommerziellen Computerspiels, sein
sogenanntes privates Zeitmanagement, an dem er feilte, eine Umsetzung des Romans zu unserer Hauptfigur und vieles mehr. Nichts hat sich getan. Ein Thema
hält sich so lange, bis das nächste ansteht. Praktisch hat er viele dieser Themen nie umgesetzt. Sie kommen auf eine persönliche Agenda, die er nicht aus den
Augen verliert und wundert sich, dass sehr viele Aufgaben unerledigt bleiben. Das einzige Thema, dass er in aller Regelmäßigkeit tatsächlich bis zum Ende
bringt, ist seine wiederkehrende Aufgabe, seine Rechner und Telefone neu aufzusetzen, aufzuräumen und umzustrukturieren. Solch ein Vorgang dauert dann
Schnitt mindestens ein Woche, wenn nicht gar länger.
In einem Vorgespräch zum angekündigten Finanzierungsthema erläuterte mir Jörg seine Ambitionen. Er sprach von Kalkulationen für die Aufführung, von
Werbemitteln, von Vorbereitungen, die Geld kosteten und vielem mehr. Schließlich müsse man einem Theater auch Zahlen vorlegen können, welche
Investitionen nötig sind. Besser noch, man habe das nötige Kleingeld, um solch eine Produktion selbst auf die Beine zu stellen. All das müsse man
berücksichtigen und festhalten, um dann auf die Suche nach potentiellen Geldgebern zu gehen. Dazu fiel mir in dieser Sekunde nichts mehr ein. Ich fragte ihn,
ob es nicht sinnvoller sei, ein Theaterstück anzubieten, dass fertig sei? Er entgegnete, dass sich dieser Finanzierungsbedarf, bis das Musical tatsächlich auf einer
Bühne gespielt wird, in einem Zeitrahmen aufbaut, der bis zu achtzehn Monate andauern kann. In dieser Spanne werde das Musical ganz sicher fertiggestellt.
Meine Vorahnungen gaben mir recht. Ich mutmaßte bereits im Vorfeld, dass es wieder eine dieser Ideen sein wird, die keine Grundlage besaß. Woher wissen
wir, wie Theater kalkulieren? Welche Erkenntnis gab den Anlass, diesen Zeitrahmen zu mutmaßen? Geht er von einem großen Theater aus, oder von einem
kleinen? Wie aufwendig werden solche Produktionen vorbereitet? Wie viel verdient ein Musical-Sänger, wie viel ein Chormitglied oder Musiker? Was kostet eine
Requisite? Mein Verständnis für die Notwendigkeit solcher Spekulationen blieb auf der Strecke. Was sollen wir mit solchen Kalkulationen anfangen? Ein
Theatermanagement weiß nur selbst, was eine Produktion im eigenen Haus kostet. Darüber sollten wir uns keine Gedanken machen. Wir werden es nicht
herausbekommen, sondern nur ins Blaue hinein raten können. Damit wären wir bei diesen Theorien, die Theorien bleiben werden.
Ganz nebenbei offenbarte mir Jörg in einer Nachricht, dass er leider nicht mehr wisse, wie der Link zur gesicherten Internetseite mit unseren Dokumenten
lautete, den ich ihm vor Monaten sandte.